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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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auf seiner Pritsche, sagt kein Wort und reagiert auf nichts.«
    Der Anwalt lehnte sich zurück, nahm seinen Füllhalter und ließ ihn zwischen beiden Zeigefingern hin und her baumeln. Er hatte wie versprochen alles, was geschehen war, mit der Genauigkeit des technischen Zeichners dargestellt. Das reinste Horrorszenario hatte er entworfen. Ich sah zu Dwight Cadmus herüber, dieser zeigte jedoch keinerlei Reaktion. Sein Gesicht blieb starr.
    Souza erhob sich von seinem Schreibtischsessel, rückte eine Tasse des Porzellanservices gerade und stellte sich vor das Türfenster. Dann blieb er dort stehen und lehnte sich gegen die Scheibe.
    »Ich habe mich übrigens eingehend mit Ihrer Person befasst, Doktor. Sie haben hervorragende Beurteilungen, gelten als aufrichtig und haben eine Menge Erfahrung als Gutachter vor Gericht. Allerdings hat es sich dabei nicht um Strafsachen gehandelt.«
    »Stimmt«, antwortete ich. »Beim Casa-de-los-Niños-Fall war ich einer der Hauptgutachter, es ging dabei allerdings um Sorgerechtsfragen und um Verletzung des Persönlichkeitsrechts.«
    »Ach ja.« Souza dachte einen Moment nach. »Sie sollen bitte nicht den Eindruck haben, dass ich Sie ausfragen will. Aber wie viel wissen Sie über Fragen der Unzurechnungsfähigkeit?«
    »Ich weiß, dass dies ein juristisches und kein medizinisches oder psychologisches Problem ist.«
    »Genau«, sagte er, sichtlich erfreut. »Tatsächlich kann ein Klient völlig verrückt sein und doch vor Gericht als voll verantwortlich gelten. Das einzige Kriterium ist, dass er richtig und falsch voneinander unterscheiden kann. Unzurechnungsfähigkeit aber bedeutet Freiheit von Schuld. Und ich brauche im Fall von Jamey Ihre Hilfe, um meine Verteidigungsstrategie in diesem Sinn aufbauen zu können.«
    »Ich dachte, psychiatrische Gutachten werden in solchen Fällen gar nicht zugelassen?«
    Souza lächelte nachsichtig.
    »Keineswegs. Zwar dürfen Psychiater nicht entscheiden, ob Unzurechnungsfähigkeit vorliegt, aber sie können aus ihrer Sicht Fakten darlegen, aus denen das Gericht seine Schlüsse ziehen kann. In unserem Fall ist der Unterschied nicht von Bedeutung.«
    »Trotz allem«, sagte ich, »für mich ist ein Plädoyer auf Unzurechnungsfähigkeit eine fragwürdige Sache.«
    »Tatsächlich, Doktor? Was stört Sie denn daran?«
    »Erstens müssen wir dabei etwas tun, das wir gar nicht gelernt haben, nämlich uns in den Kopf eines anderen versetzen und sein Leben rekonstruieren. Es ist reine Spekulation, und das merkt jeder Laie. Zweitens sind mit dieser Methode viele echte Kriminelle straffrei ausgegangen.«
    Souza nickte, kaum berührt von meinen Argumenten.
    »Theoretisch klingt das alles sehr gut. Aber sagen Sie mir, als Sie mit Jamey am Telefon sprachen, wie redete er da?«
    »Aufgeregt, wirr, er hatte offenbar Wahnvorstellungen.«
    »Kam er Ihnen psychotisch vor?«
    »Aus einem Telefongespräch kann man schwerlich solche Schlüsse ziehen, aber wahrscheinlich ist er es.«
    »Es ist sehr schön, dass Sie so gewissenhaft sind, Doktor. Aber glauben Sie mir, er hat ganz sicher eine Psychose. Paranoia, Schizophrenie. Er ist schon lange krank. Er hört Stimmen, hat Visionen und Wahnvorstellungen. Und es ist mit den Jahren schlimmer geworden. Dr. Mainwarings Prognose ist keineswegs erfreulich. Der Junge ist im Moment völlig außer sich. Glauben Sie, man kann ihn verantwortlich machen für Dinge, die in dieser Krankheit ihren Ursprung haben? Soll er deshalb als Verbrecher gelten? Er braucht eine Behandlung, keine Strafe. Und seine einzige Chance, diese zu bekommen, besteht darin, dass er für unzurechnungsfähig erklärt wird.«
    »Wollen Sie unterstellen, dass Jamey ein Mörder ist?«
    Souza schob einen Sessel in meine Nähe und setzte sich darauf, so nah, dass unsere Knie sich fast berührten.
    »Doktor, es ist mir gelungen, schon sehr früh Einblick in den Polizeibericht zu nehmen. Es sieht schlecht aus für Jamey. Er hat kein Alibi, und seine Anwesenheit am Tatort ist so gut wie ein Beweis, dass er der Mörder ist. Erst floh er gewaltsam aus der Klinik, dann fand man ihn hier mit der Mordwaffe in der Hand. Überall im Haus hat man seine Fingerabdrücke gefunden. Und ich versichere Ihnen, die werden noch mehr Beweise finden. Wir können nichts davon entkräften. Und es gibt nur einen Weg, Jamey vor der Todesstrafe zu bewahren: Wir müssen beweisen, dass er während der Tat keinen freien Willen besaß.«
    Ich schwieg. Souza war mir so nahe gerückt, dass ich seinen

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