Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
plötzlich konfrontiert wurde, war er völlig verstört. Einundzwanzig Jahre lang hatte sein Vater ihm alle Hindernisse aus dem Weg geräumt, jetzt sollte er auf eigenen Füßen stehen. Neben der Erziehung seines Kindes musste er sich um die Geschäfte kümmern. Jack war der typische charismatische Chef gewesen; unfähig zu delegieren, hatte er alle wichtigen Dinge im Kopf oder auf Notizzetteln aufbewahrt. So waren seine zahlreichen laufenden Geschäfte völlig unbekannt, und Peter musste sich erst daranmachen, Klarheit in die Sache zu bringen.
Als sein Vater begraben wurde, kam Peter buchstäblich schlotternd vor Angst zu mir, weil er nicht wusste, wie er die Firma leiten und ein Kind erziehen sollte, wo er schon solche Schwierigkeiten hatte, sein eigenes Leben zu bewältigen. Die schlimme Wahrheit war, dass er Recht hatte. Er war kein Geschäftsmann. Zwar hatte Dwight in dieser Hinsicht Fähigkeiten, er studierte Wirtschaftswissenschaften in Stanford, war aber kaum zwanzig Jahre alt, und ich riet ihm damals, erst sein Studium abzuschließen.
Ich machte mich daran, Spitzenmanager aufzutreiben, die die Firma reorganisieren und auf eine konventionelle Grundlage stellen sollten. Das dauerte ein ganzes Jahr. Während dieser Zeit wusste Peter nicht, was er mit sich anfangen sollte. Er versuchte, sich in Geschäfte einzuschalten, hielt aber nicht durch. Mein Rat, wieder aufs College zu gehen, wurde mit einem Achselzucken abgetan. Er fand keinen Sinn im Leben, wurde zunehmend depressiv und kümmerte sich immer weniger um seinen Sohn. Die Schatten der Vergangenheit holten ihn wieder ein, deshalb drängte ich ihn, die Hilfe eines Psychiaters in Anspruch zu nehmen. Da er sich jedoch weigerte, ging es weiter abwärts mit ihm. Ich glaube, er nahm wieder Rauschgift zu sich, denn seine Blicke wurden aggressiv, und er magerte stark ab. Den ganzen Tag saß er dumpf vor sich hin brütend in seinem Zimmer, um plötzlich aufzuspringen, in einen seiner Wagen zu steigen und für mehrere Tage zu verschwinden.«
»Wie reagierte Jamey auf die Veränderungen bei seinem Vater?«
»Er schien sich völlig unbeeinflusst von den Hochs und Tiefs seines Vaters zu entwickeln. Schon früh war augenfällig, dass er ein außergewöhnlich gescheiter Junge war. Als er kaum laufen konnte, versuchte er, mit altklugen Bemerkungen die Aufmerksamkeit seines Vaters auf sich zu ziehen. Aber anstatt sich darüber zu freuen, war Peter über die Frühreife erschrocken und wies Jamey ab, stieß ihn sogar zurück.
Ich habe keine Kinder, kann mir aber vorstellen, was man ihnen damit antun kann. Als ich mit Peter darüber sprach, wurde er wütend, nannte Jamey ein Monster und behauptete, er sei gespenstisch. Das Gespräch brachte ihn so in Rage, dass ich mich zurückzog; ich hatte auch keine Angst um die Sicherheit des Kindes.«
»War Peter immer so launisch?«
»Bis zu dieser Zeit noch nicht. Er war jähzornig wie sein Vater, das war nicht weiter ernst zu nehmen. Aber er konnte sich immer weniger beherrschen. Schon Kleinigkeiten brachten ihn auf, die Unordnung, die kleine Kinder anrichten; gelassenere Naturen hätten sich darüber amüsiert. Mehr als einmal musste er zurückgehalten werden, damit er nicht mit geballter Faust auf Jamey einschlug. Die Kindermädchen wurden angewiesen, ständig aufzupassen. Als er dann jedes väterliche Interesse verlor, versuchte keiner, darüber mit ihm zu reden.«
»Sind körperliche Misshandlungen vorgekommen?«
»Nein. Nachdem Peter sich als Vater zurückgezogen hatte, war die Trennung endgültig. Wie seine Mutter schloss er die Tür zum Leben und wurde Eremit. Wie sie beendete er sein Elend, indem er sich umbrachte.«
»Wie hat er das getan?«
»Er erhängte sich. Im Haus gab es einen Festsaal mit hoher gewölbter Decke und schweren Balken aus Eiche. Peter stellte sich auf einen Stuhl, warf ein Seil über einen Balken, legte sich eine Schlinge um den Hals und stieß den Stuhl unter sich weg.«
»Wie alt war Jamey, als das passierte?«
»Es geschah 1972, er muss ungefähr drei Jahre alt gewesen sein. Wir haben ihm nichts gesagt. Meinen Sie, dass er sich so weit zurückerinnern könnte?«
»Das halte ich für möglich. Hat er jemals davon gesprochen?«
»Nur ganz allgemein, über Vaterlosigkeit und philosophische Probleme des Selbstmords. Ich habe darüber mit Dwight und Heather gesprochen; soweit sie sich erinnern können, hat er niemals nach den schrecklichen Einzelheiten gefragt und hat auch nichts darüber
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