Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
er bezahlte mir weitaus mehr, als meine Dienste wert waren. Mit diesem Geld habe ich meine Praxis aufgebaut, das Grundstück bezahlt und - ich schäme mich nicht, das zu sagen - alles, was ich an Vermögen besitze.«
Er beugte sich nach vorn, der Leuchter warf Licht auf seinen nackten Schädel.
»Jack Cadmus ist der Urheber für alles, was ich bin und erreicht habe, Doktor. So etwas vergisst man nie.«
»Bestimmt nicht.«
Es dauerte einige Sekunden, bis sich die Erregung auf seinem breiten Gesicht legte. Mein Kommentar war völlig harmlos gemeint gewesen, ich hatte mich nur über sein ungewöhnliches Engagement für einen Klienten gewundert. Doch hatte ihn meine Äußerung stark erregt. Vielleicht glaubte er, dass der Kommentar eines Psychologen niemals harmlos gemeint sein konnte. Möglicherweise war er auch verärgert, weil er ihn als Indiskretion empfunden hatte. Offenbar handelte es sich um eine Überreaktion, aber Leute, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, im Seelenmüll anderer herumzukramen, stoßen häufig auf eine Barriere, wenn es um persönliche Dinge geht.
»Möchten Sie noch mehr wissen?«, unterbrach er, inzwischen wieder friedlich, meine Gedankenflüge.
»Ja, ich möchte mehr über Ivar Digby Chancellor wissen. In den Zeitungen stand, dass er ein bekannter Bankier und außerdem schwul gewesen sei, das sagt mir aber nicht viel. Dwight Cadmus nannte ihn neulich einen verdammten Perversling. Hatte er Liebesbeziehungen zu Jamey?«
»Wir sind wieder bei einem Zeitraum angelangt, über den Dwight und Heather Sie besser informieren können, ich will mich aber bemühen, die Dinge in groben Zügen zu schildern. Es gab wohl eine Art intimer Beziehungen, ich glaube aber nicht, dass man das Liebe nennen kann.«
Angewidert schürzte er seine Lippen. »Eher Päderastie.«
»Weil Jamey minderjährig war?«
»Weil er ausgenutzt wurde.« Seine Stimme klang wütend. »Dig Chancellor hätte etwas Besseres zu tun gehabt, als einen leicht beeinflussbaren, verwirrten Jungen zu verführen. Mein Gott, Doktor, der Mann war alt genug, um sein Vater zu sein. Chancellor und Peter waren auf der Militärschule in der gleichen Klasse.«
»Die Familien kannten sich also schon seit längerem?«
»Sie waren Nachbarn, lebten in Hudson ganz in der Nähe, verkehrten in der gleichen Gesellschaft. Die Chancellors waren herausragende Wirtschaftsprüfer und Bankiers. Große, stämmige Personen, auch ihre Frauen wirkten robust. Dig war der Größte, fast zwei Meter, mit Schultern wie ein Schrank, er spielte gern Football, Squash und Polo. Heiratete eine reiche Erbin aus Philadelphia. Ein Mann wie aus dem Bilderbuch, so dachte jeder. Niemand hätte vermutet, dass er schwul war. Nach seiner Scheidung kamen dann die Gerüchte auf, hinter vorgehaltenen Händen tratschte man auf den Partys über widerwärtige Dinge. Das hätte sich vermutlich nach einer gewissen Zeit wieder gelegt, wenn Dig sich dazu nicht in aller Öffentlichkeit bekannt hätte. Er wurde auf einem Protestmarsch von Homosexuellen Hand in Hand mit zwei schwulen Friseuren gesehen. Die Angelegenheit machte ihre Runde auf den Titelseiten der Lokalpresse und wurde sogar im Rundfunk verbreitet.«
An die Fotos erinnerte ich mich plötzlich: Ein riesiger, imponierender Mann mit energischem Kinn, randloser Brille, in grauem Anzug marschierte mitten auf dem Santa Monica Boulevard, die beiden schlanken, schnurrbärtigen Herren wirkten neben ihm wie Zwerge. Im Hintergrund sah man Spruchbänder. Der Hauptartikel zum Bild kommentierte ironisch das Zusammentreffen von altem Geld und neuer Moral.
»Als es schließlich alle wussten, fing er an, damit zu renommieren«, sagte Souza angewidert.
»Seine Familie war entsetzt, deshalb ging er weg und gründete eine eigene Bank, die Beverly Hills Trust. Seine Kunden waren wohlhabende homosexuelle Geschäftsleute. Er nutzte seine Chancen und finanzierte ebenso veranlagte Politiker. Von einem der Dinosaurier aus der Filmbranche nördlich von Sunset kaufte er ein riesiges Grundstück und stellte es für wohltätige Zwecke zur Verfügung - für Bohemiens, Go-go-Tänzer und ähnliches Dilettantenvolk.«
»Sie konnten ihn nicht leiden.«
Souza seufzte.
»Jahrelang hatte ich eine Loge im Stadion von Hollywood. Die von Dig lag im gleichen Rang. Es war unvermeidlich, dass wir uns ständig bei Konzerten, Gesprächsrunden, Arbeitsessen und Weinproben trafen. Damals trug er die elegantesten Abendanzüge und hatte stets eine hübsche junge
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