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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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erfahren. Hat er Ihnen gegenüber irgendetwas über Aufhängen erwähnt?«
    »Nein. In persönlichen Dingen war er sehr verschlossen. Warum sollte das eine Rolle spielen?«
    »Das könnte für die Verteidigungsstrategie sehr bedeutsam sein. Die Umstände, unter denen die Morde geschahen, vor allem der Chancellor-Mord, haben mich bewegt, über den Einfluss früher Kindheitserinnerungen auf das Verhalten von Jugendlichen nachzudenken. Alle Opfer wurden zuerst stranguliert, bevor man sie aufschnitt, und Dig Chancellor fand man an einem Deckenbalken erhängt vor. Ich glaube nicht sehr an Zufälle.«
    »Sie glauben also, dass die Morde symbolisch als Vatermord zu verstehen sind?«
    »Sie sind der Psychologe, Doktor. Ich füge mich Ihrem Urteil.«
    »Könnte sich das Prozessrisiko nicht vergrößern, wenn man die Tatmotive offen legen würde? Muss man dann nicht Vorsatz unterstellen?«
    »Nicht, wenn man die Motive als unlogisch und psychotisch darstellt. Richter verabscheuen Unsicherheiten. Gibt man ihnen keine Motive, produzieren sie selbst welche. Wenn ich erklären kann, dass der Junge seit langem einen Tötungstrieb in sich trägt, werde ich sie in die Hand bekommen. Grundsätzlich gilt: Je mehr Psychologisches ich in dem Prozess zur Sprache bringen kann, desto besser sind seine Erfolgschancen.«
    Er dachte immer strategisch. Um nicht in die Rolle von Freud gedrängt zu werden, fragte ich ihn, wer sich nach dem Selbstmord seines Vaters um Jamey gekümmert hatte.
    »Das tat Dwight. Er hatte gerade sein Abschlussexamen gemacht und war als Praktikant bei Cadmus Construction beschäftigt. Natürlich erzogen ihn weiterhin Gouvernanten und Kindermädchen, aber Dwight kümmerte sich auch um ihn, nahm ihn mit zu Ausflügen und spielte mit ihm Fangen. Er schenkte ihm weit mehr Aufmerksamkeit, als Peter das je getan hatte.«
    »Sie erwähnten Gouvernanten. Wie viele waren es denn?«
    »Eine ganze Menge. Sie kamen und gingen. Keine blieb mehr als einige Monate. Jamey war ein schwieriges Kind, reizbar und launisch. Seine Intelligenz verschlimmerte den Zustand noch, denn er gebrauchte seine schnelle Zunge als Waffe zur Einschüchterung. Einige Frauen verschwanden in Tränen aufgelöst.«
    »Wo hat er in dieser Zeit gewohnt?«
    »In ihrem Haus in Muirfield. Dwight war nach seinem Examen kurz vor Peters Tod wieder dorthin gezogen. Als er und Heather heirateten, verkauften sie es und kauften sich in der Nähe ein kleineres Objekt.«
    »Wie stellte sich Jamey zu der Heirat?«
    Zum ersten Mal während unserer Unterhaltung zögerte er, wenn auch nur eine Sekunde.
    »Ich vermute, es gab Schwierigkeiten - das war zu erwarten -, aber äußerlich war ihm nichts anzumerken.«
    »Wie kamen Jamey und Heather miteinander aus?«
    Wieder ein Zögern.
    »Meiner Meinung nach gut. Heather ist ein nettes Mädchen.«
    Während unserer bisherigen Unterhaltung war er selbstsicher gewesen, jetzt plötzlich schien er vorsichtig zu werden. Ich teilte ihm meinen Eindruck mit.
    »Sie haben Recht«, antwortete er. »Ich hatte zu Dwight Vertrauen, und seitdem er Jamey zu sich nahm, habe ich mich persönlich nicht mehr um sie gekümmert. Er und Heather können Ihnen sicher bessere Auskünfte über die letzten Jahre geben.«
    »In Ordnung.«
    Er schellte nach dem schwarz gekleideten Mädchen und bestellte Tee. Sie verschwand und erschien gleich wieder mit einem Servierwagen, auf dem das Teeservice für das Büro stand. Dieses Mal ließ ich mir eine Tasse einschenken.
    »Sie scheinen für die Familie weit mehr als ein Rechtsanwalt zu sein«, sagte ich nach ein paar Schlucken Tee.
    Er stellte seine Tasse hin und leckte sich mit einer schnellen, reptilhaften Zungenbewegung die Lippen. Seine Gesichtsfarbe wirkte im schwachen Lichtschein gerötet, und seine Antwort klang ärgerlich.
    »Black Jack Cadmus war der beste Freund, den ich jemals hatte. Wir haben uns beide hochgearbeitet. Als er anfing, Land aufzukaufen, bot er mir eine fünfzigprozentige Beteiligung an. Ich war jedoch vorsichtig, glaubte nicht, dass wirklich all das Volk in die Wüste ziehen würde, und fürchtete, dass die Sache schief gehen würde. Hätte ich damals eingeschlagen, wäre ich jetzt einer der reichsten Männer in Kalifornien. Als das Geld hereinströmte, bestand Jack darauf, dass ich beträchtliche Summen davon bekam, weil ich ihm seiner Meinung nach mit juristischen Ratschlägen sehr geholfen hatte. Natürlich hatte ich ihn in Grundstücksgeschäften und Grundbuchsachen unterstützt, aber

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