Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
eines Monats. Danach war er argwöhnisch und misstrauisch gegenüber jedermann, bedachte alle mit vorwurfsvollen Blicken und schlich umher. Die anderen Kinder waren sehr bestürzt, aber sie versuchten, nett zu ihm zu sein. Da er sich in sich selbst zurückzog, war es vielleicht nicht ganz so schlimm.«
Sie schwieg, irgendetwas schien sie zu beunruhigen. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Augen verengten sich, und ihr Kiefer war gespannt.
»Alex, Diagnosen waren nie meine starke Seite - auch in den höheren Semestern habe ich mich immer lieber mit Patienten befasst, die Verhaltensstörungen hatten, als mit Wahnsinnigen. Aber ich bin nicht blind. Und ich habe mich ernsthaft um ihn gekümmert. Es sah lange nicht so schlimm aus, wie es wirklich war. Gut, der Junge war anders als andere, heischte um Aufmerksamkeit. Ich dachte, das würde irgendwann vorbei sein. Dass es von selbst aufhören und er danach etwas anderes machen würde.«
»Er rief mich in der Nacht, in der er aus der Klinik floh, an. Er redete wie ein Wahnsinniger. Ich habe mir auch Vorwürfe gemacht. Ich habe mich gefragt, ob ich damals etwas übersehen habe. Aber weder du noch ich hätten etwas tun können. Kinder werden wahnsinnig, und niemand kann sie davor bewahren.«
Sie sah mich an und nickte.
»Danke, dass du mir vertraust.«
»Das tue ich immer.«
Sie seufzte.
»Es ist nicht meine Art, Nabelschau zu betreiben, aber in letzter Zeit habe ich es öfter getan. Ich musste ziemlich hart kämpfen, damit das Projekt weiterlaufen konnte. Ich wollte einen Skandal wegen eines wahnsinnig gewordenen Genies verhindern, aber dann hab ich es dick abgekriegt. Ich wollte um jeden Preis Presseveröffentlichungen darüber vermeiden, darum habe ich Jamey länger hier behalten, als richtig war. Deshalb und aus blauäugigem Mitleid ist es dann passiert.«
»Was willst du damit sagen?«
»Dass ich zu lange weitergemacht habe mit ihm. Ich sagte doch schon, kurz bevor er krank wurde, hatte ich beschlossen, ihm zu sagen, dass er leider aus dem Projekt ausscheiden müsse. Aber dann war er so sensibel und empfindlich, und deshalb schob ich meine Entscheidung auf. Ich fürchtete, er könne sehr auffällig reagieren und die Finanzierung des Projekts wäre nicht mehr gesichert. Zwar waren meine Ergebnisse sehr zufrieden stellend, aber als die Forschungsgelder gekürzt wurden, war es bald auch ein politisches Problem: Warum soll man hoch begabte Kinder fördern, wenn für die behinderten kein Geld da ist? Warum sind denn nicht mehr Schwarze und Lateinamerikaner in der Gruppe? Solche Fragen wurden gestellt, und man behauptete sogar, das Ganze sei eine elitäre, ja rassistische Angelegenheit. Wenn Jamey jetzt auch noch ausgeflippt wäre und es in der Zeitung gestanden hätte, wäre das das Ende vom Lied gewesen. Und so versuchte ich, in Ruhe abzuwarten, in der stillen Hoffnung, dass alles von selbst vorbeigehen würde. Aber es kam anders.«
»Ist die Fortsetzung des Projekts genehmigt worden?«
»Nur für ein Jahr, was absoluter Quatsch ist. Solange ich nicht weiß, dass es auf länger genehmigt wird, kann ich nichts Vernünftiges anfangen.«
»Das tut mir Leid.«
»Ich werde schon damit fertig«, antwortete sie, allerdings nicht sehr überzeugt. »Ich gewinne dadurch Zeit, mich nach anderen Geldquellen umzusehen. Und es sah auch ganz gut aus, bis diese Sache passierte.« Sie lächelte bitter. »Geldgeber haben es nicht allzu gern, dass jemand, den sie fördern, acht Leute in Stücke säbelt.«
Ich wollte zum Ausgangspunkt meiner Frage zurückkommen.
»Was geschah, als sich Jameys Zustand verschlechterte?«
»Sein Argwohn wurde manisch. Auf ganz subtile, kaum merkliche Art. Möglicherweise hatte er Angst, dass ihn jemand vergiftet, denn manchmal stammelte er was von der Erde, die von Zombies vergiftet wird.«
»Weißt du noch mehr über seine Wahnvorstellungen? Erinnerst du dich an Sätze, die er äußerte?«
»Nein, sonst nichts. Es ging immer um Zombies und Gift.«
»Weiße Zombies?«
»Kann sein, ich erinnere mich nicht genau.«
»Wenn er davon sprach, dass er vergiftet wurde, hatte er jemand Bestimmten in Verdacht?«
»Er verdächtigte alle und jeden. Mich, die anderen Kinder, seine Tante und seinen Onkel, deren Kinder. Wir alle waren Zombies für ihn und waren alle gegen ihn. Als er dies gesagt hatte, rief ich seine Tante an und teilte ihr mit, dass er dringend eine richtige Behandlung brauche und nicht mehr bei uns bleiben könne. Sie
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