Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
nun mal mit der Sache befasst, und einen Weg zurück gab es nicht. Deshalb bat ich ihn, mir die Hälfte des Honorars zu überweisen, und er sagte, er werde mir gleich nach Ende des Telefongesprächs fünftausend Dollar schicken.
Um elf war ich am Gefängniseingang. Man ließ mich ohne weitere Begründung eine Dreiviertelstunde in der Eingangshalle warten. Es war ein warmer Tag mit Smog, auch vor den Türen hatte er nicht Halt gemacht. Die Sessel im Warteraum waren hart und unbequem. Ich verlor die Geduld und fragte, warum man mich so lange warten ließe. Die Stimme aus dem spiegelverglasten Wachraum sagte, sie wüsste es nicht. Endlich kam eine Aufsichtsbeamtin, um mich zum Sicherheitstrakt zu bringen. Im Aufzug erzählte sie mir, dass tags zuvor ein Gefangener erstochen worden sei.
»Wir müssen alles zweimal kontrollieren, deshalb dauert es so lange.«
»Hatte es mit einem Bandenkrieg zu tun?«
»Kommt mir fast so vor.«
Ein stämmiger schwarzer Beamter namens Sims nahm mich in Empfang und führte mich in den Sicherheitstrakt. Er bat mich in ein kleines Büro und durchsuchte mich mit erstaunlich sanften Handbewegungen. Als ich den Glasraum betrat, war Jamey bereits da. Sims schloss die Tür auf und wartete, bis ich mich hingesetzt hatte. Dann ging er. Er blieb draußen gleich vor der Glaswand stehen, genau wie Sonnenschein, und beobachtete alles genau, aber ohne Aufdringlichkeit.
Heute war Jamey wach. Er riss und zerrte an seinen Fesseln.
Er schürzte die Lippen und rollte mit den Augen. Man hatte ihn rasiert, aber nur sehr schlecht. Sein Gesicht war voller schwarzer Bartstoppeln. Sein gelber Pyjama war sauber, aber knitterig. Unangenehmer Körpergeruch erfüllte den Raum, und ich fragte mich, wann sie ihn das letzte Mal gebadet hatten.
»Da bin ich wieder, Jamey, Dr. Delaware.«
Seine Augen blieben stehen, starrten, bewegten sich wieder, bis sie auf mich gerichtet waren. Ein kurzes Flackern von Klarheit schien darin auf, als habe ein Blitz in den Augenhöhlen aufgeleuchtet, aber die blaue Farbe war bald wieder wie von einer trüben Schicht bedeckt. Das war zwar keine ausführliche Antwort, aber immerhin ein Zeichen dafür, dass er überhaupt reagierte.
Ich sagte ihm, dass ich mich freute, ihn zu sehen. Ihm brach der Schweiß aus. Er lief ihm in Perlen auf die schnurrbärtige Oberlippe und ließ seine Stirn glänzen. Er schloss die Augen. Seine Lider fielen ihm zu, sein Genick wurde starr.
»Jamey, mach die Augen auf! Hör, was ich dir zu sagen habe.«
Die Lider blieben fest geschlossen. Ein Schauer überlief seinen Körper. Ich wartete auf andere Lähmungssymptome, aber es waren keine zu sehen.
»Weißt du, wo du bist?«
Keine Reaktion.
»Was für einen Tag haben wir heute, Jamey?«
Schweigen.
»Wer bin ich?«
Keine Antwort.
Ich redete weiter mit ihm. Er schaukelte hin und her und zappelte, aber im Gegensatz zu den Bewegungen vom letzten Mal schien er diese willentlich auszuführen. Zweimal öffnete er die Augen und sah mich benebelt an, nur um sie gleich darauf wieder zu schließen. Danach blieben sie zu, auch reagierte er überhaupt nicht mehr auf meine Stimme.
Zwanzig Minuten hatte ich gewartet und wollte schon aufgeben, als sich sein Mund heftig zu bewegen begann, er versuchte, seine steifen Lippen zu dehnen, als mache er den Versuch, zu sprechen, ohne jedoch dazu fähig zu sein. Unter der Anstrengung richtete er sich gerade auf. Ich beugte mich nahe zu ihm. Aus dem Augenwinkel sah ich einen khakifarbenen Fleck. Sims war näher an das Glas getreten und starrte zu uns hin. Ich nahm keine Notiz von ihm, sondern konzentrierte mich ganz auf den Jungen.
»Was willst du sagen, Jamey?«
Die Haut um seine Lippen kräuselte sich und wurde weiß. Sein Mund wurde zu einer dunklen Ellipse. Er tat ein paar flache Atemzüge. Dann stammelte er ein einziges Wort: »Glas.«
»Glas?« Ich näherte mein Ohr seinem Mund auf wenige Zentimeter und fühlte die Wärme seines Atems. »Was für Glas?«
Ein kehliges Krächzen war seine Antwort.
»Jamey, bitte, sprich doch mit mir.«
Ich hörte die Tür aufgehen und die Stimme von Sims sagen:
»Bitte lehnen Sie sich zurück.«
»Erzähle mir mehr über das Glas«, fuhr ich fort und versuchte verzweifelt, aus einem einzigen geflüsterten Wort ein Gespräch zu entwickeln.
»Mein Herr, Sie sind zu dicht bei dem Gefangenen. Sie müssen mehr Abstand halten!«
Ich gehorchte. Im selben Augenblick zog sich Jamey wieder in sich zurück, ließ die Schultern
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