Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
herabhängen und den Kopf baumeln. Er kam mir vor wie ein Tier, dass sich in Tarnstellung begibt.
Sims stand weiterhin in der Tür und passte auf.
»Ist schon in Ordnung«, sagte ich und sah über die Schulter zu ihm nach hinten. »Ich gehe nicht mehr so nah ran.«
Er bedachte mich mit einem vorwurfsvollen Blick, wartete ein paar Sekunden und kehrte dann an seinen ursprünglichen Platz zurück.
Ich wandte mich wieder Jamey zu.
»Was hast du gemeint mit Glas?«
Sein Kopf blieb gesenkt. Er ließ ihn auf eine Seite rollen, und dort blieb er in einer komischen Pose auf der Schulter liegen. Ich musste an einen Vogel denken, der sich zum Schlafen bereitmacht und gleich seinen Schnabel in sein Brustgefieder steckt.
»In der Nacht, in der du mich anriefst, hast du immer von einer gläsernen Schlucht gesprochen. Ich dachte, du meinst das Krankenhaus. War es etwas anderes?«
Jamey entzog sich mir immer mehr. Trotz der Fesseln gelang es ihm, sich wie ein Embryo zusammenzurollen. Es war, als verschwände er langsam vor meinen Augen, ohne dass ich etwas tun konnte.
»Oder sprichst du von den Glaswänden hier?«
Ich versuchte immer weiter, ihn zu erreichen, aber es nützte nichts. Er war nur noch ein zusammengekauertes Bündel, sein blasser Körper in dem schweißdurchnässten Baumwollanzug ohne jedes Leben, von den kaum wahrnehmbaren Atembewegungen abgesehen. In dieser Stellung verblieb er, bis Sims hereinkam und mir mitteilte, die Besuchszeit sei vorbei.
Das Firmengebäude von Cadmus Construction lag in Wilshire zwischen Westwood und Sepulveda, eines jener hohen Rechtecke mit Spiegelglasfenstern, die ganz Los Angeles zu überragen scheinen - narzisstische Architektur einer Stadt, die nur auf Äußerlichkeiten bedacht ist. Auf der Vorderseite befand sich eine drei Stockwerke hohe, aus rostigen Nägeln zusammengeschweißte Skulptur, die eine greifende Hand darstellte. Auf einer Plakette standen Das Ringen und ein Hinweis darauf, dass dieses peinliche Gebilde von einem italienischen Künstler stamme.
Die Eingangshalle war ein Gewölbe aus schwarzem Granit, durch die Klimaanlage war es fast eiskalt darin. In den Ecken standen in polierten Stahlbehältern überdimensionale Dieffenbachien und Feigenbäume. An der Rückseite befand sich eine Art Portiersloge, ebenfalls aus Granit, hinter der zwei Sicherheitsbeauftragte standen, der eine mit kräftigem Unterkiefer und grauem Haar, der andere noch jung, gerade Anfang zwanzig. Sie beobachteten mich, während ich den Gebäudeplan studierte. Es waren viele Anwaltspraxen und Büros von Wirtschaftsprüfern hier, Cadmus Construction war im Penthouse untergebracht.
»Was kann ich für Sie tun, Sir?«, fragte der Ältere von beiden. Ich sagte meinen Namen, und er bat um einen Ausweis. Er führte ein kurzes Telefongespräch, so leise, dass ich nichts verstand, nickte, und der Jüngere begleitete mich zum Aufzug.
»Sie haben ja strenge Sicherheitsvorschriften hier.«
»Nur diese Woche, um uns Reporter und Neugierige vom Hals zu halten.«
Er zog einen dicken Schlüsselbund aus der Tasche, öffnete den Aufzug. Ich war in ein paar Sekunden oben. Die Tür ging auf, und ein Firmenangehöriger begrüßte mich. Er trug einen eleganten Anzug mit einem roten C, das in ein größeres hellblaues eingefügt war. Der Empfangsbereich war mit Albers-Drucken in Chromrahmen verziert, außerdem sah man mehrere Architekturmodelle in Vitrinen aus Plexiglas. Eine schlanke Dame mit braunem Haar wartete schon auf mich und führte mich durch einen langen Flur, an dessen einer Seite sich Büros mit geöffneten Türen befanden, in denen strenggesichtige Frauen an Computern arbeiteten. Gegenüber waren Metalltüren mit der Aufschrift »privat«. Die Brünette öffnete eine Tür, und ich folgte ihr über einen Korridor, der mit schwarzem Teppich ausgeschlagen war und jeden Laut verschluckte. Das Büro von Dwight Cadmus lag am Ende dieses Flurs. Die Dame nickte mir zu, öffnete die Tür und ging mit hinein.
»Dr. Delaware für Sie, Mr. Cadmus.«
»Danke, Julie.« Sie ging hinaus und schloss die Tür.
Der Raum war riesig, Cadmus stand in der Mitte, in krummer Haltung, ohne Jackett, mit hochgekrempelten Hemdsärmeln, und war gerade dabei, seine Brille mit einem Taschentuch zu putzen. Die Wände waren graubraun verputzt, es hingen Architekturdarstellungen daran und ein Bild von einer Kamelkarawane, die durch eine hohe Düne reitet. Die Außenwände waren getönt verglast. Ich dachte an das einzige Wort, das
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