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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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er gern betrachtete. Meinen Sie das?«
    »Ja, vielen Dank.«
    Sie erschien mir irritiert, meine Fragen wirkten auch zusammenhanglos. Ich hatte sie aus einem bestimmten Grund gefragt. Bettnässen ist bei Kindern normal und allein nicht pathologisch. Bettnässen, Brandstiftung und Grausamkeit gegen Tiere zusammengenommen sind jedoch eine unheilvolle Kombination. Kinder mit diesen Symptomen neigen eher dazu, als Heranwachsende psychopathische Verhaltensmuster zu entwickeln, als andere Kinder. Diese Phänomene sind nur statistisch gesichert und deshalb nicht unanfechtbar. Man darf sie aber nicht aus dem Auge verlieren, wenn man sich mit einem Massenmörder beschäftigt.
    Ich beendete meine Fragen nach seiner Entwicklung und bat Heather, den Zusammenbruch von Jamey zu beschreiben. Ihre Schilderungen stimmten mit denen ihres Gatten überein, jedoch mit einer Ausnahme: Sie erklärte, dass sie schon vor Jahren psychiatrische Hilfe für Jamey gewollt hätte, sich jedoch durch die Abwehrhaltung von Dwight davon hatte abbringen lassen. Es war charakteristisch, dass sie nach dieser versteckten Kritik an ihrem Gatten seine Verdienste als Partner und Vater herausstrich und seinen Widerstand als gut gemeinte Sturheit entschuldigte. Als sie fertig war, dankte ich ihr und schloss mein Notizbuch.
    »War das alles?«, fragte sie.
    »Ja, es sei denn, Sie wollen mir noch etwas sagen.«
    Sie zögerte.
    »Da ist noch eine Sache. Ich habe sie bis jetzt noch niemandem erzählt, weil ich mir nicht sicher war, ob ich Jamey damit schade oder nütze. Gestern habe ich aber mit Horace darüber gesprochen, und er meinte, das würde den Nachweis von Chancellors unheilvollem Einfluss erleichtern. Er bat mich auch, mit Ihnen vorbehaltlos zusammenzuarbeiten, deshalb sollte ich es Ihnen sagen.«
    »Ich werde nichts tun, was Jamey schaden kann, wenn Sie sich deswegen Sorgen machen.«
    »Nachdem ich Sie kennen gelernt habe, vertraue ich Ihnen. Er hat Sie ja auch angerufen, als er verzweifelt war, Sie scheinen eine wichtige Rolle in seinem Leben zu spielen.«
    Sie hielt sich die Hand vor den Mund und biss in die Innenseite eines Fingers. Ich wartete.
    »Ich besaß ein Kleid«, sagte sie schließlich, »ein Abendkleid aus lavendelfarbener Seide. Eines Tages suchte ich im Kleiderschrank danach und fand es nicht. Ich befragte das Mädchen und die Putzfrauen - ohne Erfolg. Damals habe ich mich sehr darüber aufgeregt, vergaß es dann aber. Eines Nachts, ich saß im Bett und las, Dwight war noch in der Stadt, hörte ich das Zuschlagen einer Autotür und Gelächter hinter unserem Haus. Mein Schlafzimmer hat einen Balkon, von dem aus man die Straße übersehen kann. Ich ging hinaus und sah Dig und ein junges Mädchen, was für mich keinen Sinn ergab. Er saß in seinem Wagen, den er mit laufendem Motor auf der hinteren Zufahrt abgestellt hatte. Ich wusste, dass es Chancellor war, weil er ein Cabriolet mit geöffnetem Dach hatte - einen kleinen Oldtimer-Thunderbird - und das Licht über der Garage direkt auf sein Gesicht fiel. Das Mädchen stand an der Beifahrertür, als wenn es gerade ausgestiegen wäre. Sie war eine von der billigen Sorte, wasserstoffblond, mit Modeschmuck behangen, und sie trug mein Kleid. Weil sie größer als ich war, wirkte es wie ein Minikleid. Ich war sehr wütend auf Jamey, weil er es gestohlen und so einem bemalten kleinen Flittchen geschenkt hatte. Das fand ich sehr gemein. Ich stand auf dem Balkon, sah zu, wie sie redeten und lachten, dann beugte sich das Mädchen zu ihm, und sie küssten sich.«
    Sie hörte auf zu reden. Hastig griff sie nach der Zigarette, die sie vor kurzem weggelegt hatte, steckte sie zwischen die Lippen und nahm das Feuerzeug, bevor ich ihr behilflich sein konnte. Ihre Hände zitterten, erst nach mehrfachen Versuchen gelang es ihr, eine Flamme zu erzeugen. Sie knallte das Feuerzeug auf den Tisch, sog gierig an der Zigarette und hielt den Rauch lange in ihrer Lunge, bevor sie ihn langsam ausstieß. Durch den Rauch sah ich, wie Tränen über ihre Wangen rollten.
    »Sie küssten sich immer wieder«, sagte sie tonlos. »Dann ging das Mädchen fort und sah dabei in das Licht hinauf. Da merkte ich plötzlich, dass es gar kein Mädchen war, sondern Jamey, mit Perücke, hohen Absätzen und in meinem Kleid. Er sah grotesk aus, makaber, wie aus einem Albtraum. Es macht mich krank, darüber zu reden.«
    Als wenn sie das bestätigen wollte, bekam sie einen kurzen Hustenanfall. Ich bemerkte ein vergoldetes Kästchen mit

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