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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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eine Rauchwolke aus. »Ich habe vor zwei Jahren aufgehört zu rauchen, jetzt verbrauche ich täglich eine halbe Packung.«
    Ich schwieg, bis sie ein gutes Drittel der Zigarette geraucht hatte. Nachdem sie den Rest auf dem Aschenbecher abgelegt hatte, fuhr sie fort.
    »Sind Sie sicher … dass das alles bekannt wird?«
    »Ich fürchte, so wird es sein. Selbst wenn die Staatsanwaltschaft darauf nicht eingeht, wird die Beziehung zwischen Jamey und Chancellor für die Verteidigung eine Schlüsselrolle spielen.«
    »Ja«, sagte sie verbittert. »Das hat uns Horace auch erklärt. Er wird das wohl am besten wissen.« Sie nahm einen tiefen Zug und legte die Zigarette wieder ab.
    »Also wenn Sie das wirklich wissen wollen, die beiden sind sich bei uns begegnet. Auf einer Abendgesellschaft, geschäftlicher Natur, schwarzer Schlips, es ging um die Eröffnung irgendeines neuen Firmenprojekts. Digs Bank hatte darin investiert, wie verschiedene andere Unternehmen auch. Dwight hatte die Idee, alle Investoren zusammenzubringen, um die Beziehungen untereinander zu festigen. Der Abend fing wundervoll an, das Essen war von Perino, Champagner, ein kleines Orchester und Tanz. Unsere Töchter durften aufbleiben und bedienen helfen. Auch Jamey war eingeladen, aber er blieb den ganzen Abend auf seinem Zimmer und las. Ich erinnere mich deswegen so gut daran, weil ich ihm als Überraschung eine Abendgarderobe besorgt hatte. Als ich sie ihm zeigen wollte, warf er nicht einmal einen Blick darauf.«
    »Er war also nicht auf der Party?«
    »Nein. Dig ist wohl die Treppe hinaufgegangen, und sie müssen sich oben irgendwie begegnet sein. Dwight hat sie gesehen, als er sich während der Party Aspirin holen wollte. Beide saßen auf Jameys Bett und lasen Gedichte. Er hat sich sehr aufgeregt. Jeder kannte doch Digs … Eigenart. Dwight war der Auffassung, dass seine Gastfreundschaft missbraucht wurde. Er betrat das Zimmer und brachte Dig wieder mit nach unten - höflich, aber entschlossen. Für ihn war die Party damit gelaufen, obwohl er sich sehr zusammennahm. Wir sprachen an diesem Abend darüber, und er gab zu, dass er sich auch schon einige Zeit Sorgen über Jameys sexuelle Entwicklung gemacht hätte. Vielleicht war das zu naiv von uns gedacht, aber wir hatten zu diesem Zeitpunkt beide das Gefühl, dass Jamey ein verwirrter Teenager war und Digby der völlig falsche Umgang für ihn. Wir hofften, dass sich aus dem zufälligen Treffen nichts weiter ergeben würde, doch natürlich kam es anders. Am nächsten Morgen, als Dwight ins Büro gefahren war, las Dig den Jungen auf, und beide verschwanden den ganzen Tag. Am nächsten Tag geschah das Gleiche. Bald verbrachte Jamey mehr Zeit bei Dig als hier. Mein Mann war fuchsteufelswild, besonders weil er sich die Schuld für das Zusammentreffen der beiden gab. Er wollte zu Digby fahren und den Jungen mit Gewalt nach Hause holen, ich überzeugte ihn jedoch, dass er damit mehr Schaden als Gutes anrichten würde.«
    »In welcher Weise?«
    »Ich wollte keine gewaltsame Auseinandersetzung. Mein Mann ist zwar sportlich, aber Dig war ein Riese. Er machte Bodybuilding. Ich hatte auch Angst vor Jameys Reaktion, wenn er Zeuge einer Auseinandersetzung würde.«
    »Hatten Sie Angst vor Verletzungen?«
    »Nein, damals noch nicht. Ich fürchtete nur einen heftigen Wortwechsel und seine Folgen.«
    »Begannen die psychischen Störungen vor oder nach Jameys Bekanntschaft mit Chancellor?«
    »Das fragte mich Horace auch, und ich habe mir Mühe gegeben, mich zu erinnern. Aber ich weiß es nicht mehr. Er war kein normaler Junge, der sich plötzlich seltsam betrug. Er war nie wie andere Kinder, deshalb geschahen die Veränderungen wohl mehr im Verborgenen. Ich kann nur sagen, dass es ungefähr in der Zeit geschah, als Chancellor sich für ihn zu interessieren begann.«
    »Haben Sie jemals mit Chancellor über Jamey gesprochen?«
    »Nicht ein Wort. Wir litten schweigend.«
    »Das muss aber Ihre Beziehungen zu Chancellor stark belastet haben.«
    »Nein. Wir hatten immer nur geschäftliche Beziehungen zu ihm.«
    »Und wurden die dadurch beeinflusst?«
    Ihre grauen Augen musterten mich ärgerlich, und ihr Gesicht rötete sich. Ihre Wangenmuskeln zitterten fast unmerklich, und ihre Stimme bekam einen schrillen Klang, als sie antwortete.
    »Doktor, wenn Sie damit andeuten wollen, dass wir wegen des Geldes Rücksicht nahmen, darf ich Ihnen versichern, dass...«
    »Ich wollte nichts dergleichen andeuten«, unterbrach ich sie. »Ich

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