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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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wollte nur eine Vorstellung davon bekommen, wie Ihre Familie auf Jameys Beziehung zu Chancellor reagierte.«
    »Wie wir reagierten? Wir waren völlig verzweifelt. Trotzdem haben wir die geschäftlichen Beziehungen nicht abgebrochen. Man gibt aus persönlichen Gründen kein Millionenprojekt auf, von dem das Wohl tausender abhängt. Wenn man so etwas täte, würde sich in dieser Welt nichts verändern.«
    Sie griff wieder nach der Zigarette und sog wütend daran. Ich gab ihr Zeit, um sich zu beruhigen. Als sie aufhörte zu rauchen, drückte sie die Zigarette aus, strich sich über die Haare und lächelte bemüht.
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Das ist mir sehr schwer gefallen.«
    »Keine Ursache. Das sind auch sehr unangenehme Fragen.«
    Sie nickte. »Bitte machen Sie weiter.«
    »Fühlt sich Ihr Gatte immer noch schuldig für das, was sich zwischen Jamey und Chancellor angebahnt hatte?«
    »Ja. Ich habe ihn zu überzeugen versucht, dass das eines Tages doch passiert wäre, dass Homosexualität angeboren ist und nicht herbeigeredet werden kann, aber wie ich schon erwähnte, ist er ein sehr eigensinniger Mensch.«
    Mir wurden die Gründe für Cadmus’ ablehnendes Verhalten deutlicher, und ich verstand jetzt, warum er das Gespräch abgebrochen hatte, als ich auf die Beziehung zwischen Jamey und Chancellor zu sprechen gekommen war.
    »Seine Schuldgefühle bringen ihn förmlich um«, fuhr sie fort. »Ich mache mir sogar Sorgen wegen seiner Gesundheit.«
    Ich erinnerte mich an den gierigen Blick, den er auf die Whiskyflasche geworfen hatte, und verstand, welche gesundheitlichen Probleme sie meinte. Ich wechselte das Thema und fragte:
    »Wissen Sie, ob Dig Chancellor Rauschgift nahm?«
    »Wie ich Ihnen schon sagte, kannte ich ihn nicht sehr gut, deshalb fehlt mir die Gewissheit. Aber rein gefühlsmäßig glaube ich das nicht. Wie viele von denen achtete er sehr auf seinen Körper - Vegetarier, biologische Vollwertkost, Gewichtheben. Der Mann strotzte vor Gesundheit, war sehr muskulös. Er hat Jamey so weit gebracht, dass er nicht mehr zu Hause essen wollte. Deshalb glaube ich nicht, dass er fähig war, sich zu vergiften.«
    Oberflächlich betrachtet klang das logisch, entsprach aber trotzdem nicht der Realität. Auch fanatische Gesundheitsapostel machten eine Ausnahme, wenn es um einen Kokaintrip oder einen Amylnitrat-Orgasmus ging.
    »Wissen Sie, ob Jamey Rauschgift nahm?«
    »Als er anfing, sich seltsam zu verhalten, fragte ich mich das auch.«
    »Warum?«
    »Er benahm sich, als wäre er auf einem LSD- oder PCP-Trip oder hätte schlechtes Speed genommen.«
    Die fachmännische Ausdrucksweise, mit der sie über Drogen sprach, passte nicht so recht zu ihrem aristokratischen Gehabe. Sie bemerkte mein Erstaunen und lächelte.
    »Ich habe ehrenamtlich in der Drogen-Rehabilitation gearbeitet, die von der Junior League gefördert wurde. Das war ein Übergangsheim und Beratungszentrum für Teenager, die von harten Drogen loskommen wollten. Wir haben es eingerichtet, nachdem die Frau des Präsidenten dafür eine Bürgerinitiative angeregt hatte. Fünf Stunden in der Woche habe ich dort in den letzten achtzehn Monaten geholfen, das war eine sehr lehrreiche Zeit. Was Drogen anging, bin ich nicht unerfahren - ich war in den Sechzigerjahren Assistentin an der Stanford-Universität -, inzwischen ist aber alles viel schlimmer geworden. Die jungen Leute erzählen unglaubliche Geschichten über zehnjährige Heroinsüchtige, Drogencocktails, LSD- und Amphetaminmixturen. Mir ist das Ausmaß dieses Problems bewusst geworden. Wenn Jamey anfing, sich komisch zu verhalten, geriet ich in Panik und telefonierte mit den Beratern des Zentrums. Sie meinten, dass es sich um Halluzinogene handeln könnte, sagten aber auch, dass man die Möglichkeit einer geistigen Erkrankung nicht außer Acht lassen dürfe. Leider habe ich nur richtig zugehört, als es um Rauschgift ging, und das andere verdrängt.«
    Sie hörte plötzlich auf zu reden und wirkte verängstigt.
    »Was ich Ihnen jetzt erzähle, klingt vielleicht verrückt, aber Sie müssen verstehen, dass ich um die Familie fürchtete, weil er sich immer mehr absonderte.«
    »Das klingt gar nicht verrückt. Erzählen Sie bitte weiter.«
    Sie beugte sich zerknirscht vor.
    »Ich wurde zur Schnüfflerin, Doktor. Ich behielt ihn ständig im Auge, um Anhaltspunkte zu bekommen, beobachtete seine Pupillen und untersuchte unauffällig seine Arme auf Einstiche. Ich schlich mich heimlich in sein Zimmer und

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