Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
durchsuchte es in der Hoffnung, eine Spritze, Pillen oder ein Pulver zu finden, irgendetwas, das ich im Zentrum untersuchen lassen konnte. Alles, was ich fand, waren pornografische Bilder, von Tag zu Tag mehr. Einmal habe ich ihm eine benutzte Unterhose weggenommen und gedacht, man könnte etwas aus den Urinspuren analysieren. All das führte zu keinem Ergebnis, trotzdem veränderte er sich immer mehr. Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass er geisteskrank sein muss.«
Sie nahm sich eine neue Zigarette aus dem Kästchen, dachte kurz nach und legte sie wieder hin.
»Der ständige Gedanke, dass es anders ausgegangen wäre, wenn ich früher etwas gemerkt hätte, hat mir schlaflose Nächte eingebracht. Dr. Mainwaring hat uns versichert, dass die Schizophrenie vererbt worden ist und sich auch ohne unser Zutun entwickelt hätte. Was denken Sie darüber?«
»Schizophrenie ist etwas anderes als Krebs. Behandlungserfolge sind mehr von der individuellen biologischen Verfassung abhängig als von frühzeitigen Erkenntnissen. Sie brauchen sich deshalb keine Vorwürfe zu machen.«
»Das beruhigt mich«, sagte sie. »Das beruhigt mich wirklich. Möchten Sie noch etwas wissen?«
»Sie erwähnten vorhin, dass er Ihnen vertraute.«
»Selten.«
»Ich verstehe. Aber wenn das ab und zu vorkam, worüber sprachen Sie dann?«
»Über Schmerzen, Ängste, Unsicherheit, die üblichen Probleme der Kindheit. Er fragte oft nach seinen Eltern und dachte eine Zeit lang, dass sie ihn verstoßen hätten. Ich versuchte, ihm zu helfen und sein Selbstbewusstsein zu stärken.«
»Was wusste er über seine Eltern?«
»Meinen Sie, was für Menschen sie waren? Er wusste fast alles über sie. Zuerst beschönigte ich ihre schlimmeren Seiten, er warf mir aber vor, ihn zu täuschen, und bedrängte mich weiter. Schließlich hielt ich es für das Beste, ehrlich zu ihm zu sein. Es machte ihm sehr zu schaffen, dass sie Rauschgift genommen hatten; wenn ich es mir recht überlege, war das damals wohl der Grund, dass ich ihn nicht für süchtig hielt.«
»Kannte er die Einzelheiten über den Selbstmord seines Vaters?«
»Er wusste, dass Peter sich erhängt hatte. Er wollte die Gründe dafür wissen; diese Frage konnte ich ihm natürlich nicht beantworten.«
»Wie äußerte er seine Gefühle zu dieser Tat?«
»Es machte ihn zornig. Er hielt Selbstmord für feige und hasste seinen Vater deswegen. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass Peter das nicht getan hätte, um ihm zu schaden, sondern wegen der schrecklichen Ausweglosigkeit seiner seelischen Verfassung. Ich schilderte ihm auch die guten Seiten seiner Eltern, den Charme und das gute Aussehen seines Vaters, die tänzerische Begabung seiner Mutter. Ich wollte, dass er positiv über seine Familie und sich selbst dachte.«
Mit einem kleinen Ausruf, der zwischen Lachen und Weinen lag, atmete sie heftig aus und fuhr sich über die Augen.
Ich wartete, bis sie sich beruhigt hatte, und fragte weiter.
»Erzählen Sie mir etwas über sein Verhalten während der Kindheit.«
»Gern, was möchten Sie denn wissen?«
»Fangen wir mit dem Schlafen an. Schlief er als Kind gut?«
»Nein, er war immer sehr unruhig und wachte leicht auf.«
»Hatte er häufig Albträume, schreckte er aus dem Schlaf hoch, war er Nachtwandler?«
»Gelegentlich hatte er böse Träume, nichts Außergewöhnliches. Aber einige Monate vor seiner Einweisung wachte er häufig schreiend auf. Dr. Mainwaring hielt das für Albträume und vermutete eher eine neurologische Ursache.«
»Wie oft geschah das?«
»Mehrmals in der Woche. Das war einer der Gründe, weshalb wir ihn in das Gästehaus ziehen ließen; das Geschrei erschreckte nämlich unsere Töchter. Vermutlich ging das Schreien weiter oder verstärkte sich nach seinem Umzug; ich bin mir aber nicht sicher, weil er außer Hörweite war.«
»Sagte er etwas, wenn er schrie?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Er schrie und stöhnte nur. Es hörte sich schrecklich an.«
»War er Bettnässer?«
»Ja, als wir heirateten. Ich versuchte damals alles, um ihm zu helfen, Belohnung, Schelte, eine Klingelunterlage - nichts wirkte. Als er dann neun oder zehn war, hörte es von selber auf.«
»Hat er etwas mit Feuer angerichtet?«
»Nie«, antwortete sie verwirrt.
»Wie ging er mit Tieren um?«
»Mit Tieren?«
»Ja, mit Haustieren. Hatte er Freude daran?«
»Wir hielten nie Hunde oder Katzen, weil ich dagegen allergisch bin. In der Bibliothek stand nur ein Aquarium mit tropischen Fischen, die
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