Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
»Seit kurzem.«
»Ziehen wir mal eine kleine Zwischenbilanz: Sie alle sind Mitglieder ein und desselben Historikervereins. Eines Vereins, der sich haargenau mit dem geschichtlichen Thema beschäftigt, das quasi die Hintergrundfolie einer mysteriösen Mordserie bildet. Bis auf Dr. Weißmann sind Sie alle Jäger und Hundebesitzer und können sich somit relativ leicht T61 beschaffen. Außer Dr. Weißmann, sofern man seiner Behauptung Glauben schenkt, waren Sie alle in der fraglichen Nacht in Johanniskreuz und anschließend alleine auf der Jagd. Das klingt doch wie abgesprochen, oder finden Sie nicht?«
»Wolf, ich glaube, eine aktuelle Information hast du noch gar nicht«, warf Sabrina Schauß dazwischen.
»Und welche?«, fragte Tannenberg verwundert.
»Wir sind vorhin auf dem Weg hierher bei der Schwester von Herrn Klemens vorbeigefahren. Er lebt im selben Haus wie er. Die Frau hat angegeben, dass ihr Bruder vorgestern Nacht gegen 3 Uhr nach Hause gekommen sei. Sie sei wach geworden, weil er auf dem Hof eine Mülltonne gestreift hätte, die dann polternd umgefallen sei. Sie meint, er sei anscheinend ziemlich betrunken gewesen.«
»Das ist leider richtig«, seufzte Winfried Klemens, dem diese Angelegenheit anscheinend ziemlich peinlich war. »Ich bin nur zum Hochsitz gefahren und …«, er räusperte sich verlegen, »habe meinen Flachmann geleert. Ganz alleine und ohne Zeugen.«
Plötzlich nahm Tannenberg aus dem Augenwinkel heraus ein bäriges Ungetüm wahr, das mit Karacho von rechts her auf ihn zugestürmt kam. Reflexartig drehte er seinen Körper zur Seite, machte einen Ausfallschritt und hob das Knie an – die einzige Möglichkeit, Kurts ungezügeltem Temperament wenigstens einigermaßen Einhalt zu gebieten.
Aufgrund der vielen Zuschauer fiel die Begrüßung diesmal allerdings weniger herzlich und vor allem bedeutend kürzer und autoritärer aus, als Kurt es normalerweise gewohnt war. Dem energisch vorgetragenen ›Platz‹-Befehl kam er deshalb auch nur sehr widerwillig nach und bekundete seinen Protest mit einem tiefen, grollenden Brummen.
Kurts Auftritt war dramaturgisch eingeplant. Er war für Kommissar Schauß das verabredete Zeichen, Alexander Fritsche in einen der bereitstehenden Streifenwagen zu bringen.
16
Johanna von Hohenecks Kleidung war auf die hochsommerlichen Abendtemperaturen abgestimmt: Sie trug ein hellblaues Blusentop und eine weiße 7/8 Hose mit leicht ausgestelltem Beinverlauf. Ihre langen, naturblonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Eine italienische Designer-Sonnenbrille steckte auf ihrem Kopf. Sie wurde von einem älteren Herrn begleitet, dessen unspektakuläres Outfit zu jeder Jahreszeit gepasst hätte. Gemeinsam mit dem imposanten Mischlingshund waren die beiden vom südlichen Rand des Uniwohngebietes aus zur Jammerhalde gewandert.
»Er sitzt schon im Streifenwagen«, begrüßte Tannenberg die attraktive Historikerin, als sie bei ihm auf der Waldbühne eintraf. Es war eine Reaktion auf ihren ängstlich die Umgebung inspizierenden Blick. »Außerdem wurde ihm ein Beruhigungsmittel gespritzt. Er ist jetzt zahm wie ein Lämmchen.«
Hanne nickte dankbar.
»Sind Sie so nett und nehmen neben Ihren Jagdfreunden Platz?«, bat er, während ihm sein Vater ein gefaltetes Blatt überreichte. Er klappte es auseinander und las kurz über den Text. Es handelte sich dabei um einen Zeitungsartikel, den der Senior im Internet entdeckt und ausgedruckt hatte. Lächelnd ließ er das Blatt in seinem Sakko verschwinden. »Du setzt dich am besten auch gleich rüber zu deinen kriminellen Vereins-Kumpanen.«
Jacob zögerte einen Moment, da er wohl gegen diese pauschale Unterstellung protestieren wollte. Doch ausnahmsweise schluckte er die auf seiner Zunge liegende Bemerkung hinunter. Er wandte sich der neben Tannenbergs Füßen liegenden Hundedame zu. »Komm mit, Kurt«, befahl er.
Aber anstatt sich zu erheben, knurrte der Familienhund und drückte seine Schnauze noch fester auf die Pfote. Jacob grummelte etwas Unverständliches vor sich hin und befolgte dann kopfschüttelnd die Anweisung seines Sohnes.
Braver Hund, dachte Tannenberg schadenfroh. Schmunzelnd knetete er die Hände. »Schön, dann haben wir jetzt ja alle Tatverdächtigen beisammen.« Plötzlich verzog er das Gesicht, und schrie auf: »Mistvieh, elendes!«
Mit voller Wucht klatschte er auf eine Bremse, die ihn gerade ins Genick gestochen hatte. Sofort reagierte seine Kopfverletzung mit stromschlagartigen
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