Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
Fremdhaaren die bissverursachende Tierart identifizieren. Doch das dauert sicherlich noch einige Zeit.«
»Welche Hunderasse ist denn so scharf, dass sie so etwas tut?«
»Jede, würde ich einfach mal behaupten.«
Tannenberg schürzte skeptisch die Lippen. »Jede?«
»Natürlich. Ich denke, man muss die armen Tiere nur lange genug hungern lassen. Erinnere dich bitte mal daran, dass sich deine eigenen Artgenossen auch schon gegenseitig aufgefressen haben. Zum Beispiel bei diesem Flugzeugabsturz damals in den Anden.«
Während der Kriminalbeamte betroffen nickte, musste er abermals an den Kannibalenmord-Artikel in der Bildzeitung denken: ›Ich wollte ihn nicht töten, sondern nur essen‹.
Dr. Schönthaler zog die Mappe mit dem vorläufigen Obduktionsbericht von seinem Schreibtisch, klappte sie auf, entnahm ihr zwei großformatige Fotos und hielt sie seinem Freund nebeneinander unter die Nase. »Was fällt dir bei diesen beiden Fundortfotos auf?«
Tannenberg brummte eine Weile unschlüssig, bevor er endlich Antwort gab: »Na ja, auf den ersten Blick sehen beide Arrangements genau gleich aus – bis auf die Tatsache eben, dass die Männer unterschiedliche Kleidung und Schuhe tragen.«
»Sehr gut beobachtet, Herr Hauptkommissar«, lobte der Rechtsmediziner scheinheilig. »Und du hast den entscheidenden Begriff verwendet.« Er blickte kurz in die fragende Miene seines Gegenüber. »Schau nicht so dackelmäßig! Ja, man glaubt es kaum, aber selbst du landest manchmal einen Volltreffer.« Er grinste schadenfroh über alle Backen. »Und wie lautet nun der entscheidende Begriff?«
Nur ein Schulterzucken als Reaktion.
»Es ist das Wort ›Arrangement‹«, verkündete der schlaksige Pathologe. Er legte die beiden Fotos direkt nebeneinander auf seinen Schreibtisch und richtete die Unterkanten exakt aus. Dann zog er ein langes Lineal aus der Utensilienbox und hielt das Ende des Maßstabs jeweils an die Halsstümpfe der Toten. Mit einem Bleistiftstrich markierte er eine Verbindungslinie. Anschließend schob er den Zollstock nach oben zu den Unterkiefern der Mordopfer. Wieder zog er einen dünnen Strich und entfernte das Lineal. »Und was siehst du nun?«
»Zwei parallele Linien.«
»Exakt«, bestätigte Dr. Schönthaler. Während er sich freudig die Hände rieb, erklärte er: »Diese parallelen Verbindungsstriche weisen uns auf etwas ausgesprochen Merkwürdiges hin: Der Abstand zwischen Kopf und Korpus ist nämlich jeweils gleich. Und zwar beträgt er ziemlich genau 35 Zentimeter. Das haben die von Mertel und mir unabhängig voneinander durchgeführten Messungen zweifelsfrei ergeben.«
»Kann das kein Zufall sein?«
»Doch, natürlich«, erwiderte der Rechtsmediziner. Er zupfte nachdenklich an seiner Fliege. »Na ja, wir werden sehen, wie groß der Abstand beim nächsten Jammerhalden-Toten ist.«
»Mensch, Rainer, mal ja nicht den Teufel an die Wand.«
»Bin kein Teufel!«, ertönte plötzlich eine kräftige Jungmännerstimme in Tannenbergs Rücken, »sondern nur ein armer, ausgebeuteter Zivi, der unzumutbare Botengänge erledigen muss.«
Bevor der Kriminalbeamte die Situation richtig wahrgenommen hatte, war der kecke Eindringling auch schon wieder verschwunden. Dr. Schönthaler schlug den Laborbericht auf und überflog die kryptischen Symbole und Zahlenfolgen.
»Erstens: Das Blut auf der Praxe stammt wahrscheinlich vom ersten Opfer.«
»Was heißt ›wahrscheinlich‹?«
»Das heißt nichts anderes, als dass es für eine Übereinstimmung gewichtige Anhaltspunkte gibt. Eine endgültige Gewissheit erhalten wir jedoch erst durch die DNA-Analyse.«
»Und die kann noch dauern.«
»So ist es«, murmelte der Mediziner, der bereits wieder in die Lektüre des Laborberichts vertieft war. »T61 – ich hab’s gewusst!«, jubilierte er.
Verständlicherweise konnte Tannenberg mit diesem freudigen Ausruf nichts anfangen. »Und was ist das: T61 – ein russischer Panzer, oder wie?«, knurrte er. »Los, sag schon.«
»Nein, das ist ein geniales deutsches Pharmaprodukt«, versetzte sein alter Freund schmunzelnd, »jedenfalls für einen Mörder.«
»Rainer, red jetzt endlich Klartext.«
Dr. Schönthaler bestrich seine trockenen Lippen mit einem Fettstift, dann präsentierte er sein medizinisches Fachwissen: »Du erinnerst dich bestimmt noch daran, dass ich bei unserem ersten Leichnam eine Einstichstelle auf dem Rücken entdeckt habe.«
Tannenberg nickte.
»Bei dem Toten, den du heute Morgen gefunden hast, übrigens
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