Jan Fabel 01 - Blutadler
wissen, hatten wir bereits vor Jahren eine intime Beziehung. Damals bat ich Angelika, mich zu heiraten, aber sie lehnte ab. Wir sind all die Jahre Freunde geblieben, und dann sprühten plötzlich wieder Funken zwischen uns.«
»Weiß Frau Schreiber von dem Verhältnis?«, fragte van Heiden.
»Herrje, nein. Karin hat keine Ahnung. Keiner von uns beiden wollte ihr wehtun.«
»Also hatten Sie nicht geplant, Ihre Frau zu verlassen?«, hakte Fabel nach.
»Nein. Wenigstens nicht im Moment. Ich hatte es zunächst vorgeschlagen, aber Angelika wollte nicht, dass wir zusammenzogen. Ihr lag an ihrer Unabhängigkeit, und dieses Arrangement war ihr offenbar angenehm. Und wie ich schon gesagt habe: Wir wollten Karin und den Kindern nicht wehtun.«
»Das klingt nicht nach einer sonderlich tiefen Beziehung.«
Schreiber beugte sich vor. Er hob einen Kugelschreiber von der Tischplatte auf und drehte ihn in seinen Fingern hin und her. »Das stimmt nicht. Wir schätzten einander sehr. Aber wir waren einfach« - er suchte nach dem richtigen Wort - »pragmatisch. Außerdem hatten wir immer das Gefühl, dass irgendetwas zwischen uns nicht geklärt war.«
Fabel beschloss, sich erneut auf seine Intuition zu verlassen. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Frau Blüm die Beziehung beenden wollte?«
Schreiber setzte eine gequälte Miene auf. »Woher wissen Sie ...«
Fabel schnitt ihm das Wort ab. »Warum waren Sie an jenem Abend bei ihr? Wollten Sie Frau Blüm umstimmen?«
»Nein. Wir hatten schon vereinbart, uns nicht mehr zu treffen.«
»Ich nehme an, dass Sie früher manchmal über Nacht geblieben sind?«
Schreiber nickte. »Wenn die Umstände es zuließen.«
»Mit anderen Worten, wenn Sie Ihrer Frau ein glaubwürdiges Alibi bieten konnten.« Schreiber machte eine schwache Bewegung mit den Schultern. »Also haben Sie an jenem Abend ein paar Sachen, die Sie in Frau Blüms Wohnung aufbewahrt hatten, abgeholt.«
Die Augen des Ersten Bürgermeisters weiteten sich. »Ja, Hemden, einen zusätzlichen Anzug, Toilettenartikel und so weiter. Wie haben Sie das bloß erfahren?«
»Die Sporttasche. Entweder haben Sie etwas damit abgeholt, oder Sie haben die Mordwaffe darin versteckt.« Die Sporttasche hatte es Fabel ermöglicht, sich die Szene vorzustellen: das Ende einer Beziehung; die Entfernung der letzten persönlichen Habseligkeiten aus der Wohnung. Er erinnerte sich daran, wie er selbst eine solche Tasche benutzt hatte. Renate hatte stumm dabeigestanden, während Gaby in ihrem Zimmer schlief, als er sich vor fünf Jahren aus ihrem Familienheim zurückgezogen hatte. »Wann haben Sie die Wohnung verlassen?«
»Gegen Viertel vor neun abends.«
»Sie waren nur fünfzehn Minuten dort?«
»Ja, wahrscheinlich. Angelika hatte gerade ein Bad genommen und musste an jenem Abend noch eine Arbeit abschließen. Deshalb habe ich meine Sachen eingepackt und bin sofort verschwunden.«
»Ist es zu irgendeinem Streit gekommen?«
»Nein, unsere Freundschaft war zu wertvoll, um sie aufs Spiel zu setzen. Das Ganze lief sehr zivilisiert ab.«
»Und Sie sahen niemanden eintreffen, als Sie hinausgingen?«
Schreiber dachte einen Moment lang nach und schüttelte den Kopf.
»Nein, nicht, dass ich wüsste.«
»Um welche Zeit waren Sie zu Hause?«, fragte Fabel.
»Ungefähr um zehn oder fünfzehn Minuten nach neun.«
»Und Ihre Frau kann das bestätigen?«
»Müssen wir Karin da hineinziehen?« In Schreibers Stimme war die Spur eines Flehens.
»Leider ja, wenn sie die einzige Person ist, die bestätigen kann, dass Sie um Viertel nach neun zurückgekehrt sind. In Frau Blüms Autopsiebericht steht, sie sei gegen zweiundzwanzig Uhr ermordet worden.«
Schreiber wirkte wie ein Mann, dessen wohlgeordnetes Leben plötzlich aus den Fugen geraten war. »Und wir brauchen Ihre Fingerabdrücke, Herr Dr. Schreiber«, setzte Fabel hinzu.
»Das können wir doch hier machen lassen«, sagte van Heiden und schaute Fabel wie um Billigung heischend an. »Auf diskrete Weise.«
Fabel nickte zustimmend. »Am besten macht das Brauner persönlich. Ich werde es veranlassen.« Er wandte sich erneut Schreiber zu.
»Wahrscheinlich werde ich Ihnen irgendwann weitere Fragen stellen müssen.« Der Bürgermeister nickte, und es kam zu einer Pause. »Das erste Opfer, Ursula Kastner, hat für die Hamburger Landesregierung gearbeitet. Kannten Sie sie?«
»Natürlich kannte ich sie. Sie gehörte zu unserer Rechtsabteilung, Ressort Umwelt und Grundstücke, und hatte mit
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