Jan Fabel 01 - Blutadler
war.«
»Vermutlich war sie links?«
»Eindeutig links, aber nicht marxistisch oder etwas Ähnliches. Eher linksliberal. Und umweltbewusst. Eine Zeit lang engagierte sie sich für die Grünen. Nach der Wiedervereinigung, als es durch das Bündnis 90/Die Grünen zu einem Zusammenschluss mit den ostdeutschen Bürgerrechtsbewegungen kam, spielte sie wahrscheinlich sogar mit dem Gedanken, für den Bundestag zu kandidieren.«
»Warum hat sie das nicht getan?«
Erika Kessler strich eine einzelne goldene Locke zurück und schob sie sich hinters Ohr. Sie blickte auf den Fluss hinaus. »Angelika war eine ausgezeichnete Journalistin, was sie genau wusste. Sie beschloss, eine ausgezeichnete Journalistin zu bleiben, statt eine mittelmäßige Politikerin zu werden. Ihrer Meinung nach konnte sie durch ihre Artikel mehr für die soziale Gerechtigkeit und den Umweltschutz bewirken.«
»Wann haben Sie Frau Blüm das letzte Mal gesehen?«, erkundigte sich Werner.
»Letzte Woche. Wir trafen uns am Mittwoch zum Essen. Am elften Juni.«
»Wie hat sie sich gefühlt? Und hat sie etwas Ungewöhnliches erwähnt?«
»Ich glaube nicht. Sie war recht optimistisch. Am Nachmittag wollte sie den widerlichen Altnazi Wolfgang Eitel abfangen.«
»Den Vater von Norbert Eitel, dem Verleger?«
»Ja. Außerdem ist er ehemaliger SS-Offizier und Führer des so genannten Bundes Deutschland für Deutsche.«
»Was für ein Interesse hatte Frau Blüm an ihm?«
Erika Kessler schlug ihre langen Beine demonstrativ übereinander. »Dazu hat sie sich nicht genau geäußert. Sie hat allerdings versucht, uns für eine Dokumentation zu gewinnen. Aber vorläufig hat sie mich nur wissen lassen, dass sie ein paar negative Dinge über Eitel herausgefunden hatte, die ihn bei seinen Anhängern unglaubwürdig machen würden. Es schien etwas mit Grundstücksspekulationen zu tun zu haben.«
»War davon die Rede, dass ihre Recherchen sie in Gefahr bringen konnten?«
Frau Kessler furchte die Stirn. »Das kam ihr, glaube ich, nicht in den Sinn. Und mir auch nicht. Haben Sie etwa Eitels Leute in Verdacht?«
»Nicht ausdrücklich. Hat sie noch an etwas anderem gearbeitet?«
»Ich weiß, dass sie sich mit dem Bataillon 101 beschäftigte. Aber das war offenbar kein großes Projekt für sie.«
Fabel runzelte die Stirn. Vor dem Zweiten Weltkrieg und in seinem Verlauf hatte man das Polizei-Reservebataillon 101 aus beliebigen Hamburger Männern - hauptsächlich mittleren Alters - zusammengestellt. Hamburg galt als eine der am schwächsten nazifizierten Städte Deutschlands. Aber 1942 massakrierten diese normalen Männer im polnischen Otwock fast 2000 Juden. Bis Kriegsende löschte das Bataillon 101 mehr als 80000 Juden und andere »Unerwünschte« aus. Fabel erinnerte sich an die eulenäugige alte Frau Steiner, die unter der ermordeten Tina Kramer gewohnt hatte. Dann fielen ihm die Schwarzweißfotos eines Mannes in der Uniform des Polizei-Reservebataillons ein.
»Bataillon 101? Das ist doch nicht sehr aktuell.«
Erika Kessler zuckte die Schultern. »Vielleicht hatte sie einen anderen Blickwinkel. Sie stellte einen Vergleich zu sowjetischen Polizeiaktionen in Afghanistan und Tschetschenien an.«
»Was war mit persönlichen Beziehungen?«, fragte Fabel. »Hatte Frau Blüm einen Freund?«
Kessler zögerte einen Herzschlag lang. »Nein, ich glaube nicht, dass sie in letzter Zeit jemanden hatte. Eine Zeit lang war sie eng mit einem anderen Journalisten befreundet. Paul Thorsten.« Fabel notierte sich den Namen. »Aber sie haben sich vor ungefähr einem Jahr voneinander getrennt. Seitdem hat sie meiner Ansicht nach keine feste Beziehung mehr gehabt.« Fabel schaute in Erika Kesslers eisblaue Augen. Sie hielt seinem Blick energisch stand. Fast wäre sie davongekommen, aber durch ihre einen Sekundenbruchteil zu lange Pause, ihre zu glatte Antwort und den zu starren Blick hatte sie ihre erste Lüge enthüllt. Warum sagte sie die Unwahrheit über Angelika Blüms männliche Freunde?
»Kennen Sie Marlies Menzel?«
»Die Malerin?«
»Die Terroristin.«
Erika Kessler lachte, aber das Eis in ihren Augen schien sich noch ein wenig mehr zu verhärten. »Sagen wir die frühere Terroristin und heutige Malerin? Ich habe von ihr gehört, aber ich kenne sie nicht persönlich.«
»Angelika Blüm kannte sie.«
»Ja, die beiden arbeiteten, glaube ich, eine Weile zusammen.«
»Bei der linken Zeitschrift Zeitgeist. Der damalige Chefredakteur war der junge Hans Schreiber. Bestand
Weitere Kostenlose Bücher