Jan Fabel 01 - Blutadler
da sein seltsames Verhältnis zu Frauen.«
»Wieso seltsam?«
»Er schien sie völlig beherrschen zu müssen. Wie es hieß, war er mit allen Mitgliedern seiner Gruppe intim. Deshalb sprach die Presse von ›Svenssons Harem‹.«
»Und was hatten Sie damit zu tun?«
»1983 versuchten sie, die Zentrale der Commerzbank am Paul-Nevermann-Platz zu überfallen. Es waren drei Frauen, die zu Svenssons Splittergruppe gehörten. Als sie hinausliefen, stießen sie auf zwei Streifenpolizisten. Es kam zu einem Schusswechsel. Zwei der Terroristinnen und ein Schutzpolizist wurden getötet, der andere schwer verwundet. Ich traf am Schauplatz ein, als die überlebende Terroristin die Flucht ergriff. Ich verfolgte sie ein paar Straßen lang und forderte sie auf, die Waffe fallen zu lassen. Aber sie drehte sich um und feuerte. Sie traf mich in die Seite, und ich schoss zurück: zwei Kugeln ins Gesicht und in den Kopf. Sie starb sofort. Ihr Name war Gisela Frohm. Siebzehn Jahre alt. Ein Kind.«
»Ach so.« Dr. Eckhardt setzte ihre Brille ab und schien Fabel einen Moment lang zu begutachten. »Es ist klar, weshalb Sie die Verbindung herstellen. Aber selbst wenn Svensson überlebt hätte, glaube ich nicht, dass er für diese Morde in Frage käme.«
»Warum nicht?«
»Er passt nicht in unser Profil - weder dem Alter noch der Psyche nach.« Sie schob eine rabenschwarze Locke zurück, die ihr in die hohe Stirn gefallen war. Dann setzte sie ihre Brille wieder auf, bevor sie aus ihrer Akte vorlas: »Wir haben zwei Indikatoren, aus denen wir ein Profil des Mörders aufbauen können: die physischen Indizien von den Mordschauplätzen und den Inhalt der E-Mails. In groben Zügen ist das Profil zurzeit folgendes: männlich, zwanzig bis vierzig Jahre alt, doch wahrscheinlich unter dreißig. Offensichtlich intelligent, doch vielleicht nicht so intelligent, wie er selbst glaubt. Ausbildungsgrad: mindestens Abitur; vielleicht ein Akademiker mit einem recht verantwortungsvollen Posten, den er trotzdem für unter seinem Niveau hält. Oder er könnte aus irgendeinem Grund daran gehindert worden sein, sein Ausbildungspotenzial zu entfalten, und arbeitet in einem untergeordneten technischen Beruf. Wenn er Akademiker ist, würde das Mindestalter natürlich bei etwa sechsundzwanzig Jahren liegen.
Wie Frau Klee bereits erwähnt hat, scheint er technisch sehr beschlagen zu sein. Er lebt wahrscheinlich - wenn auch nicht mit Sicherheit - allein. Der Hinweis in der E-Mail auf soziale Isolierung und Ausgrenzung passt zum typischen Profil. Er ist ein Einzelgänger, jemand mit geringem Selbstwertgefühl. Er glaubt, dass seine Intelligenz unterschätzt und sein Potenzial von seiner Umgebung eingeschränkt wird. Dieser Umgebung hat er nun den Krieg erklärt. Es könnte auch einen Vorfall - oder eine Reihe von Vorfällen - in seiner Kindheit oder Jugend gegeben haben, bei dem er von einer Frau gedemütigt oder dominiert wurde. Eine alternative Möglichkeit besteht darin, dass er seine Mutter dafür verantwortlich macht, ihn in einem bestimmten Fall nicht vor einem tyrannischen oder gewalttätigen Vater beschützt zu haben. Eine derartige Situation könnte sich in der Pubertät abgespielt haben, wobei sich seine Masturbationsfantasien dann um eine totale Rache an Frauen drehten. Daraufhin verbanden sich sein Abscheu und seine Furcht vor Frauen unlöslich mit sexueller Erregung. Er könnte sexuell gestört und impotent sein, es sei denn, dass extreme Gewalt gegen Frauen bei ihm Erregung und einen Orgasmus auslöst.«
»Aber an den Schauplätzen sind kein Sperma oder auch nur Anzeichen für eine Penetration gefunden worden«, widersprach Fabel.
Die attraktive Psychologin hob den Kopf und betrachtete ihn über ihren Brillenrand hinweg. »Nein. Das bedeutet jedoch nicht, dass er keinen sexuellen Akt ausgeführt hat. Er könnte ein Präservativ benutzt haben, um keine DNS-Spuren zu hinterlassen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass dieser Mann zu seiner sexuellen Befriedigung Dinge verübt, die mit einem normalen sexuellen Verhalten nichts zu tun haben. Und, wie gesagt, er ist möglicherweise impotent. Das Verbrechen ist sexueller Natur, aber der Täter erkennt sein sexuelles Motiv entweder nicht oder leugnet es. Ein wichtiges Element, das sich aus der E-Mail - und der ritualisierten Durchführung der Morde - ableiten lässt, ist die Religiosität des Aktes. Es handelt sich um eine Art Zeremoniell, das er aus Gründen ausführt, die abstrakter sind als eine
Weitere Kostenlose Bücher