Jan Fabel 01 - Blutadler
hell in der Sonne.
Fabel wusste nicht, wie lange sie schon an seinem Tisch gestanden hatte, und fuhr zusammen, als er ihren weichen Münchener Akzent hörte. »Darf ich?«
»Ja ... ja ... natürlich, Frau Doktor.« Fabel mühte sich einen Moment lang mit seiner Serviette ab, bevor er aufsprang und einen Stuhl für sie abrückte.
»Ich hoffe, ich störe Sie nicht«, meinte Susanne Eckhardt.
»Nein, überhaupt nicht.« Er winkte die Kellnerin heran und fragte Dr. Eckhardt: »Was möchten Sie?«
Sie wandte sich der Kellnerin zu und bestellte ein Glas Weißwein. Fabel erkundigte sich, ob sie die Speisekarte sehen wolle, doch sie schüttelte den Kopf. »Ich habe schon im Büro einen Happen gegessen. Aber lassen Sie sich durch mich nicht unterbrechen.«
Fabel führte einen weiteren Bissen Hering zum Mund. Er fühlte sich seltsam verletzlich beim Essen, während sie zusah. Susanne legte den Kopf zurück und ließ sich das Gesicht von der Sonne wärmen. Fabel war wieder von Ehrfurcht vor ihrer Schönheit erfüllt.
»Ich habe gerade in den Arkaden eingekauft« - sie nickte in Richtung der Tüten, die sie neben sich abgestellt hatte -, »als ich Sie hier sitzen sah. Sie wirken erschöpft. Es war ein langer Tag, nicht wahr?«
»Das kann man wohl sagen. Leider lassen sich lange Tage und schlaflose Nächte nicht von meinem Beruf trennen.«
Ihr Wein wurde gebracht. Sie hob das Glas. »Zum Wohl! Auf lange Tage und schlaflose Nächte.«
»Cheers.« Fabel benutzte gewöhnlich den englischen Ausdruck.
Susanne lachte. »Ach ja, der englische Kommissar. Ich hatte vergessen, dass das Ihr Spitzname ist.«
Fabel erwiderte lächelnd: »Ich bin halber Schotte. Meine Mutter war Schottin, und fast hätte sie mich ›Iain‹ taufen lassen. Jan war ein Kompromiss. Aber viele Leute in Hamburg fühlen sich zumindest ein bisschen wie Briten. Manche nennen die Stadt den ›östlichsten Londoner Vorort‹. Ich bin sicher, als Süddeutsche wissen Sie, was ich meine.«
Susanne setzte ihr Glas ab. »O ja. Ich hatte nicht erwartet, einen Kulturschock zu erleben, ohne Deutschland zu verlassen, aber als ich aus München herzog, hatte ich tatsächlich das Gefühl, ausgewandert zu sein. Die Menschen hier sind manchmal ein bisschen ...«
»Angelsächsisch?«
»Ich wollte sagen: reserviert. Seit ich hier wohne, kann ich verstehen, warum solche Dinge über die Hamburger gesagt werden.« Sie nahm einen weiteren Schluck Wein. »Trotzdem gefällt es mir hier. Es ist eine wunderbare Stadt.«
»Ja.« Fabel schaute über das Wasser hinweg. »Das stimmt. Wie lange sind Sie schon hier?«
»Zwei Jahre. Nein, nun schon fast drei. Ich bin mittlerweile ziemlich sesshaft.«
»Weshalb sind Sie hergekommen? Aus beruflichen Gründen, oder stammt Ihr Mann aus Hamburg?«
Sie lachte über die Offensichtlichkeit der Frage. Er lachte ebenfalls. »Nein, Herr Fabel, ich bin nicht verheiratet ... und bin auch sonst in keiner Beziehung. Der Grund meines Umzugs war, dass mir ein Posten am Institut für Rechtsmedizin angeboten wurde. Und durch das Institut bekam ich den Beraterposten bei der Polizei Hamburg.«
Sie beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte ihr Kinn auf die verschränkten Finger. »Und wie kommt Frau Fabel mit den langen Arbeitsstunden zurecht, die Sie ableisten müssen?«
Er lachte über die Widerspiegelung seiner eigenen Unbeholfenheit. »Es gibt keine Frau Fabel. Oder wenigstens jetzt nicht mehr. Ich bin seit ungefähr fünf Jahren geschieden.«
»Tut mir Leid. Ich wollte nicht ...«
Fabel hob die Hände. »Schon gut. Ich habe mich daran gewöhnt. Es ist schwierig für eine Partnerin, sich auf mein Leben einzustellen. Und meine Frau hatte ein Verhältnis mit jemandem ... mit jemandem, der im Gegensatz zu mir immer da war.«
»Das ist wirklich sehr schade.«
»Wie gesagt, schon gut. Ich habe eine wunderbare Tochter, die so viel Zeit wie möglich mit mir verbringt.«
Sie schwiegen eine Weile. Das Gespräch hatte plötzlich eine allzu intime Wendung genommen, und keiner der beiden schien den Weg zurück zu einem unverfänglichen Thema finden zu können. Susanne blickte über das Alsterfleet hinweg zum Rathausplatz, während Fabel ein Stück Hering auf seinem Teller hin und her schob. Nach ein paar Sekunden begannen beide gleichzeitig zu sprechen.
Susanne lachte. »Bitte, reden Sie.«
»Ich wollte Sie fragen ...«, begann Fabel und wurde sich seines unsicheren Tonfalls bewusst. Er wiederholte energischer: »Ich
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