Jan Fabel 01 - Blutadler
wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht irgendwann einmal mit mir essen gehen würden.«
Susanne lächelte. »Sehr gern. Wie wäre es mit nächster Woche? Rufen Sie mich im Büro an, und wir machen etwas fest.« Sie schaute auf ihre Uhr. »Herrje, ich muss weiter. Vielen Dank für den Wein, Herr Fabel.«
»Jan, bitte.«
»Danke für den Wein, Jan. Wir hören nächste Woche voneinander?«
Fabel stand auf und schüttelte ihr die Hand. »Mit Sicherheit.«
Er sah ihr nach, während sie durch die sich abwechselnden Streifen aus Schatten und goldenem Sonnenlicht unter den Bögen dahinschritt. Das Bier und die Müdigkeit lösten ein Gefühl der Unwirklichkeit in ihm aus. Hatte sie tatsächlich ja gesagt?
Außendeich bei Cuxhaven,
Mittwoch, den 4. Juni, 21.00 Uhr
Es war, als hätte sie sich von ihrem Körper, von ihrer unmittelbaren Umgebung, von der Welt gelöst. Ihr Bewusstsein war von einer dichten, klebrigen Hülle überzogen. Manchmal wurde die Hülle dünner, und sie konnte die Dinge auf normalere Art wahrnehmen, dann verdickte sie sich wieder und ließ die Realität um sie herum finsterer werden. Das machte sie wütend, doch sogar diese unverfälschte Emotion wurde von dem Schlamm gebremst, der jeden Gedanken, jedes Gefühl, jede Bewegung bedeckte. Sie stürzte erneut. Feuchte Blätter klebten an ihrem Gesicht. Sie spürte den Geschmack von stinkendem Laub in ihrem Mund. Überall um sie herum waren Bäume. Sie wusste, dass sie fähig sein sollte, einen Ort wie diesen zu benennen, doch das Wort »Wald« war zu fern, erforderte eine zu große geistige Anstrengung, um in ihr Gedächtnis zurückgerufen zu werden. Sie blieb einen Moment lang liegen, rappelte sich dann auf, machte ein paar weitere Schritte und stürzte wieder hin. Der Schleim, diesmal noch dicker und schwärzer, schwappte wieder um ihr Bewusstsein, und sie glitt zurück in die Ohnmacht. Als sie erwachte, war es dunkler geworden. Ein Instinkt, der sich durch die Droge nicht trüben ließ, ergriff von ihr Besitz, und sie erhob sich taumelnd auf die Füße. Vor ihr waren Lichter, die durch die silhouettenhaften Baumstämme flackerten. Es war ihr Instinkt, der sie den Lichtern entgegentrieb, nicht die Erkenntnis, dass vor ihr eine Straße, Hilfe, Rettung warteten. Sie stolperte noch ein paar Mal, doch nun wurde sie zu den Lichtern hingezerrt, als hinge sie am Ende eines Zugseils. Der Boden unter ihren Füßen wurde ebener, weniger verschlungene Wurzeln oder Zweige ließen sie straucheln. Die Lichter wurden größer. Heller.
Die Einsicht ereilte sie, knapp bevor der Lastwagen gegen ihren Körper prallte. Sie hörte das Kreischen von Reifen und starrte mit weit aufgerissenen, doch ungeblendeten Augen in die Scheinwerfer, die ihr entgegenrasten. Verwunderung überwältigte sie. Sie konnte nicht begreifen, weshalb sie angesichts des Todes so frei von Furcht war.
Hamburg-Altona,
Mittwoch, den 4. Juni, 23.50 Uhr
Die meisten Büroangestellten und Käufer waren längst verschwunden, und in dem unterirdischen Parkhaus standen fast keine Autos mehr. Die Reifen des Saab quietschten leise, als er die scharfe, steile Kurve von der Rampe hinunter in die von Pfeilern durchsetzte Parkfläche nahm. Statt auf einen der Parkplätze zuzurollen, blieb er auf der Fahrbahn stehen und blendete die Scheinwerfer ab.
Ein Mercedes, der auf einem Parkplatz hinter einer Säule verborgen gewesen war, raste plötzlich auf den Saab zu und stoppte erst, als die beiden Autos fast Stoßstange an Stoßstange standen. Keines der beiden konnte sich rasch entfernen. Die Türken - sie saßen im Mercedes - stiegen als Erste aus. Drei kräftig gebaute Männer. Zwei stellten sich an die Seiten, ließen die Türen geöffnet und stützten die Arme darauf. Dadurch dienten ihnen die Türen als Schilde.
Der dritte Türke, älter und teurer gekleidet als die beiden anderen, ging auf den Saab zu, beugte sich vor und pochte mit den Knöcheln ans Fahrerfenster. Das Summen und Klicken einer sich öffnenden elektrischen Fensterscheibe war zu hören.
Dann ein Geräusch wie das laute Knallen eines Korkens.
Die beiden Türken am Mercedes sahen, wie eine Blutfontäne aus dem Hinterkopf des älteren Mannes spritzte, als die Kugel, die jemand aus dem Innern des Saab abgefeuert hatte, aus seinem Schädel austrat. Bevor sie reagieren konnten, ertönte eine Reihe weiterer Geräusche, diesmal rasch hintereinander wie von Hagelkörnern, die auf ein Dach aufprallten. Das Knallen kam von
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