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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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den 14. Juni, 20.00 Uhr
      Fabel brauchte sich nicht umzublicken, um zu wissen, dass sie die Bar betreten hatte. Der Barkeeper, der ihm gegenüberstand, schaute mit leerem Blick über Fabels Schulter hinweg, und seine Hände erstarrten beim Polieren eines Glases. Auch die Unterhaltung der zwei Männer zu seiner Rechten verstummte, während sie ihr Platz machten. Er spürte ihre Gegenwart, als sie sich neben ihn auf die Bar lehnte, und dann erreichte ihn die subtile Sinnlichkeit ihres Parfüms. Fabel lächelte und sagte, ohne den Kopf zu wenden: »Guten Abend, Susanne.«
    »Guten Abend, Jan.« Fabel drehte sich ihr zu. Susanne trug ein einfaches, ärmelloses schwarzes Kleid, und ihr rabenschwarzes Haar war locker hochgesteckt. Irgendwie gelang es ihm, Atem zu holen.
    »Es ist schön, dass du kommen konntest«, sagte er.
    Fabel bestellte für beide Getränke, und sie schlenderten zu einem Tisch am Fenster. Die Milchstraße war voll von Menschen, die spazieren gingen oder in Straßencafés saßen und den ausklingenden Tag genossen. 
    »Ich möchte auf keinen Fall, dass wir heute Abend Berufliches diskutieren«, sagte Fabel, »aber hast du Montagmorgen um zehn Uhr Zeit für eine Fallbesprechung?«
    »Kein Problem«, erwiderte Susanne. »Dieser Fall geht dir wirklich unter die Haut, stimmt's?«
    Fabel lächelte schwach. »Das tun sie alle. Aber du hast Recht, dieser ganz besonders. Es gibt so viele Dinge, die nicht zusammenzupassen scheinen, und so viele, die zu gut zusammenpassen.« Er umriss seine Theorie über die Odin-Masken.
    »Ich bin mir nicht sicher, Jan«, sagte Susanne und drehte den Stiel ihres Weinglases zwischen den Fingern. »Ich glaube immer noch, dass es ein einzelner Mörder ist. Außerdem bin ich der Meinung, dass du mit deiner Theorie über weitergehende Motive falsch liegst. Vermutlich ist dies ein allein handelnder Dreckskerl, dem es Spaß macht, junge Frauen aufs Geratewohl abzuschlachten.«
    »Das klingt nicht gerade nach einer professionellen Zusammenfassung, Frau Doktor.«
    Susanne lachte. »Manchmal fühle ich mich gar nicht so professionell. Ich bin immer noch ein ganz normaler Mensch, und gelegentlich kann ich auf all diese grässlichen Dinge nur emotional reagieren. Geht es dir nicht hin und wieder genauso?«
    »Sogar meistens. Aber wenn das deine Einstellung ist, warum tust du es dann?«
    »Warum tust du's?«
    »Warum bin ich Polizist? Weil irgendjemand diese Arbeit machen muss. Jemand muss sich, wie ich finde, zwischen die gewöhnlichen Männer, Frauen oder Kinder und diejenigen stellen, die ihnen schaden wollen.« Fabel unterbrach sich jäh, weil ihm plötzlich bewusst wurde, dass er Yilmaz' Einschätzung seiner Person mehr oder weniger wiederholt hatte. »Aber du bist Ärztin. Für dich gibt es hundert verschiedene Möglichkeiten, den Menschen zu helfen. Warum tust du das hier?«
    »Daran ist wohl der Zufall schuld. Nach der Allgemeinmedizin habe ich Psychiatrie und dann Psychologie studiert. Danach Kriminal- und Gerichtspsychologie. Und mit einem Mal war ich ungewöhnlich gut für diese Arbeit qualifiziert.«
    Fabel lächelte breit. »Und ich bin froh darüber. Sonst wären wir einander nicht über den Weg gelaufen. Aber nun genug des Beruflichen.« Er winkte einen Kellner heran.
     

 
    Hamburg-Uhlenhorst,
    Samstag, den 14. Juni, 20.50 Uhr
      Angelika Blüm räumte den breiten Kaffeetisch leer. Als Erstes breitete sie eine detaillierte Karte von Mittel- und Osteuropa auf dem Tisch aus. Darauf legte sie die Fotos, die Zeitungsausschnitte, die Unternehmensdetails und die Zettel, auf denen jeweils ein handgeschriebener Name stand: Klimenko, Kastner, Schreiber, von Berg, Eitel jun., Eitel sen. In die Mitte der Karte legte sie den letzten Namen. Während alle anderen schwarz geschrieben waren, bestand dieser aus roten, mit einem Filzstift gezogenen Großbuchstaben: Witrenko.
    Alles war da. Aber die Verbindungen, auf die sich ihre Theorie stützte, waren zu schwach, um einer juristischen Prüfung standzuhalten. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die von ihr vermuteten Zusammenhänge aufzuschreiben und alles Weitere Ermittlern zu überlassen, die über bessere Beziehungen und Recherchemöglichkeiten als sie selbst verfügten. Warum hatte sich der verdammte Polizist nicht gemeldet? Sie wusste, dass Fabel mit dem Mord an Ursula Kastner befasst war, und was sie zu sagen hatte, würde mehr Licht auf die Angelegenheit werfen. Sie hatte von dem zweiten Mord gelesen: an der Frau, deren Foto man

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