Jan Fabel 01 - Blutadler
öffnete den Mund, doch Fabel ließ ihn nicht zu Wort kommen, sondern wandte sich direkt an den Kommissar.
»Bisher war noch niemand in der Wohnung?«
»Nein. Ich hielt es für das Beste abzuwarten, bis Sie eintreffen. Ich habe zwei Männer an der Tür von Frau Blüms Wohnung postiert. Von innen ist kein Laut zu hören.«
Fabel schaute zu dem Zivilisten hinüber.
»Das ist der Hausmeister«, beantwortete der Schutzpolizist seine unausgesprochene Frage.
Fabel drehte sich zum Hausmeister hin und streckte die Hand aus.
»Geben Sie mir bitte den Schlüssel für Frau Blüms Wohnung!«
Der Hausmeister nahm die hochmütige, halb aristokratische Miene eines englischen Butlers an. »Auf keinen Fall. Dies ist ein exklusives Gebäude, und unsere Bewohner haben das Recht ...«
Fabel schnitt ihm erneut das Wort ab. »In Ordnung.« Dann forderte er Werner auf: »Würdest du bitte die Türramme aus dem Kofferraum holen?«
»Das können Sie nicht machen«, tobte der Hausmeister. »Sie brauchen einen Durchsuchungsbefehl.«
Fabel blickte nicht einmal in seine Richtung. »Wir brauchen keinen Durchsuchungsbefehl. Wir ermitteln in einem Mordfall und haben Grund zu der Annahme, dass die Bewohnerin in Gefahr ist.«
Er deutete mit dem Kopf in Richtung des Wagens. »Werner, die Türramme bitte.«
Der Hausmeister stotterte entsetzt: »Nein ... nein. Ich hole die Schlüssel.«
Die Lifttüren glitten auf dem Flur der dritten Etage auf. Die breite, makellos gepflegte Fläche wurde von Einbauleuchten erhellt, die glänzende Tupfen auf den Marmor warfen. Fabel bedeutete dem Hausmeister voranzugehen. Sie folgten der leichten Biegung des Flurs und stießen auf zwei Beamte an beiden Seiten einer Wohnungstür. Fabel legte dem Hausmeister eine Hand auf die Schulter, um ihn zurückzuhalten, und schob sich vor. Dann gab er Werner und Maria ein Zeichen, dass sie ihm folgen sollten. Durch eine Handbewegung lenkte er Anna und Paul zur anderen Seite der Tür, neben den zweiten Schutzpolizisten. Alle Augen waren auf Fabel gerichtet. Er hielt den Finger an die Lippen und flüsterte dem Hausmeister zu: »Welcher Schlüssel?«
Der Mann kramte nach dem geeigneten Schlüssel. Fabel nahm das Bund, lächelte, nickte dem Hausmeister zu und machte eine stoßende Bewegung mit der Handfläche, damit der Mann zurückwich. Dann zeigte er auf sich selbst und Werner und hielt erst einen, dann zwei Finger hoch, um anzudeuten, dass Werner und er die Führung übernehmen würden. Die beiden zogen ihre Waffen, und Fabel drückte auf den Türsummer. Sie hörten das elektronische Krächzen des Summers in der Wohnung. Keine Reaktion. Fabel nickte Werner zu und steckte den Schlüssel ins Schloss. Mit einer einzigen fließenden Bewegung drehte er den Schlüssel um und stieß die Tür auf. Die Lichter in der Wohnung brannten. Werner, dicht gefolgt von Fabel, glitt über die Schwelle.
»Frau Blüm?« Stille. Fabel musterte den Bereich der Wohnung, den er sehen konnte. Neben der Tür standen ein Stuhl und ein kleiner Tisch. Ein teuer aussehender Frauenmantel war nachlässig auf den Stuhl geworfen worden, und auf dem Tisch lag eine italienische Lederhandtasche. Fabels Griff an seiner Walther lockerte sich. Er wusste, dass niemand in der Wohnung war. Jedenfalls niemand Lebendiges.
Die Wände der Diele hatten eine hellblaue Farbe und waren mit großen Originalgemälden verziert: mit abstrakten Studien in tiefen Violett- und Rottönen, die auf dem kühlen Hintergrund zu glühen schienen.
Während Fabel leise durch die Diele glitt, blickte er nach links durch eine offene verglaste Doppeltür, die in den geräumigen Wohnbereich führte. Das Zimmer war leer. Wieder diente eine geschmackvolle Kühle als Hintergrund für teure Möbel und vereinzelte Originalkunstwerke. Bei seiner raschen Begutachtung des Zimmers glaubte Fabel die bewegten Linien einer Giacometti-Skulptur wahrzunehmen. Sie war klein, doch sie machte den Eindruck eines Originals. Er ging weiter. Zur Rechten das Badezimmer. Leer. Danach, ebenfalls zur Rechten, das Schlafzimmer. Leer. Die nächste Tür in der Diele war geschlossen. Fabel stieß sie auf, doch das Zimmer war dunkel. Er schob eine Hand neben der Tür hinunter, bis er den Schalter spürte. Der Raum wurde schlagartig durch eine Reihe angewinkelter Wandlampen mit Licht überflutet.
Ein Schock.
Fabel konnte nicht begreifen, weshalb er nicht darauf vorbereitet gewesen war. Er hatte gewusst, dass sie tot in der Wohnung lag, und als er auf die
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