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Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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anderen aufblickte. Der große Mann hob eine Hand. Er zog seinen Mantel und sein Hemd aus und enthüllte Max’ Werk. Sein mächtiger, muskulöser Rumpf war mit Worten, Sätzen und ganzen Geschichten bedeckt, die Max ihm in schwarzer Fraktur in die Haut tätowiert hatte. Bei der geringsten Bewegung, bei jedem Zucken eines Muskels wanden sich die Worte, als wären sie lebendig.
    »Stimmt das? Niemand weiß von Ihrer Arbeit an mir?«
    »Niemand. Das schwöre ich. Es ist so wie bei einem Arzt mit seinem Patienten… Wenn Sie sagen, ich soll den Mund halten, dann halte ich den Mund. Aber es wäre schön, wenn ich darüber sprechen könnte. Verflucht noch mal, es ist diebeste Arbeit, die ich je gemacht habe. Und das sage ich nicht nur, weil Sie mein Kunde sind.«
    Der große Mann schwieg erneut. Auch diesmal war nur das Geräusch seiner Atmung zu hören, das das winzige Studio erfüllte. Tief, hallend aus dem tonnenartigen Brustkasten. Er atmete schneller.
    »Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte Max. Seine Stimme klang nun schrill, verursacht durch ein Gefühl zwischen Unbehagen und eindeutiger Furcht.
    Keine Antwort. Stattdessen griff der große Mann nach seinem Mantel und holte etwas aus einer der Taschen hervor. Es war eine winzige Kindermaske aus Gummi. Eine Wolfsmaske. Er zog sie über sein breites Gesicht, und die wölfischen Züge spannten und verzerrten sich.
    »Was soll die Witzmaske?« Max’ Mund war trocken, und seine Stimme verzerrte sich seltsam. Er merkte, wie das Herz in seiner Brust hämmerte. »Hören Sie, ich habe noch viel zu erledigen. Das Studio ist nur Ihretwegen geöffnet. Also, wenn Sie etwas wollen…« Er gab sich alle Mühe, so etwas wie Autorität in seine gedehnte, verängstigte Stimme zu legen.
    »Gescheiter Hans…« Der große Mann lächelte und neigte den Kopf zur Seite. Es war eine kindliche Geste, die bei einem Mann seiner Statur merkwürdig, unwirklich aussah. Sein gestreckter Hals verformte die Silben, die tief aus seiner Kehle drangen.
    »Was? Ich heiße nicht Hans. Das wissen Sie doch. Ich heiße Max…«
    »Gescheiter Hans«, wiederholte der große Mann und neigte den Kopf zur anderen Seite.
    »Max… Ich bin Max. Hören Sie, Sie Riese, ich weiß nicht, was mit Ihnen los ist. Haben Sie sich vielleicht heute Abend was reingezogen? Sie sollten lieber wiederkommen, wenn…«
    Der große Mann trat vor, schlug beide Hände gleichzeitigan Max’ Kopf, packte die Seiten wie mit einer Klammer und drückte kräftig zu.
    »Oh«, sagt er. »Gescheiter Hans, gescheiter Hans.«
    »Ich heiße nicht Hans! Ich heiße nicht Hans!« Max schrie jetzt. Seine gesamte Welt war von einer weißen, elektrischen Furcht erfüllt. »Ich bin Max! Erinnern Sie sich? Max! Der Tätowierer!«
    Hinter der gedehnten, grotesken Maske schienen die Züge des großen Mannes plötzlich traurig zu werden, und sein Tonfall war bittend, wehmütig. »Gescheiter Hans, gescheiter Hans… warum wirfst du ihr keine freundlichen Augen zu?«
    Max fühlte, wie seine Wangen an seine Zähne gedrückt wurden. Die Klammer an seinem Kopf quetschte und entstellte sein Gesicht.
    »Gescheiter Hans, gescheiter Hans… warum wirfst du ihr keine freundlichen Augen zu?«
    Max’ Schrei wurde zu einem tierischen Wimmern, als sich die breiten Daumen des Angreifers unter seinen Augenbrauen, knapp oberhalb der Wölbung seiner Lider, ins Fleisch gruben. Der Druck verstärkte sich und wurde zu einem unerträglichen Schmerz. Die Daumen drangen tiefer in die Augenhöhlen. Max’ Wimmern wurde zu einem plärrenden Gurgeln, als ihm die Augen aus dem Kopf gepresst wurden und Übelkeit in seiner Kehle aufstieg.
    Nun erblindet, hing Max schlaff im unentrinnbaren Griff seines unglaublich starken Angreifers. Sein Universum blitzte und funkelte, und er glaubte sogar wieder die Umrisse des Mannes, wie in Neon geätzt, zu erkennen, während seine Sehnerven und sein Gehirn versuchten, mit dem plötzlichen Verlust seiner Augen fertig zu werden. Dann Finsternis. Die Klammer wurde entfernt. Aber bevor Max zu Boden sacken konnte, packte eine Hand sein Haar und riss ihn hoch. Ein Moment der Stille breitete sich in Max’ Finsternis aus. Wieder konnte er nur den ebenmäßigen, tiefen Atem des Riesen hören,der ihn geblendet hatte. Dann das Geräusch von Metall, das aus etwas herausgezogen wurde. Vielleicht aus einer Lederscheide.
    Max zuckte überrascht zusammen, als er den Hieb an seiner Kehle spürte. Ein Sekundenbruchteil, in dem er überlegte,

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