Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
und einem Stoppelbart umrahmt war. Er bedachte die beiden Hamburger Beamten mit einem breiten Lächeln und stellte sich als Kriminalkommissar Klatt vor. Dann legte er die Akte, die er unter dem Arm gehabt hatte, auf den Tisch und bedeutete Anna und Fabel, Platz zu nehmen.
»Es tut mir Leid, dass wir uns in einem so engen Raum treffen müssen«, entschuldigte sich Klatt. »Dies ist nicht mein üblicher Arbeitsplatz. Mein Büro liegt in der Europaallee, aber ich dachte, es wäre einfacher für Sie, hierher zu kommen. Man tut mir einen Gefallen, aber der Raum hier ist etwas bescheidener, als ich erwartet hatte.« Er setzte sich. Seine freundlicheMiene nahm einen ernsteren Ausdruck an. »Wie ich höre, haben Sie Paula gefunden…«
»Das können wir erst mit Sicherheit sagen, wenn die Eltern die Leiche identifiziert haben, Herr Kommissar Klatt… Aber es hat den Anschein.«
»Es war bloß eine Frage der Zeit.« Resignierte Trauer zeichnete sich in Klatts breitem Gesicht ab. »Trotzdem hofft man immer, den einen oder anderen lebendig zurückzubringen.«
Fabel nickte. Klatts Gefühle entsprachen seinen eigenen. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Klatt zumindest eine Chance hatte, denn er ging meist mit den Lebenden um, während Fabel als Mordermittler erst dann herangezogen wurde, wenn jemand gestorben war. Einen flüchtigen Moment lang überlegte Fabel, wie es wäre, sich zur allgemeinen Kripo zurückversetzen zu lassen. Dann brachte die Polizistin den Kaffee.
»Haben Sie mit der Möglichkeit gerechnet, sie unversehrt zu finden?«, fragte Anna.
Klatt überlegte. »Nein, wahrscheinlich nicht. Sie kennen die Statistik. Wenn wir jemanden nicht während der ersten vierundzwanzig Stunden aufspüren, überwiegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Person nicht mehr lebend zurückkehrt. Aber Paula war für mich das erste verschwundene Kind. Ich fühlte mich betroffen. Vielleicht zu betroffen. Es war schwer, mit einer Familie, die so sehr litt, umzugehen.«
»War sie ein Einzelkind?«, fragte Anna.
»Nein, sie hatte noch einen älteren Bruder… Edmund.«
»Wir haben ihn im Haus der Ehlers’ nicht gesehen«, meinte Fabel.
»Nein. Er ist ungefähr drei Jahre älter. Heute wohl neunzehn oder zwanzig. Er leistet seinen Wehrdienst ab.«
»Vermutlich haben Sie ihn gründlich überprüft.« Fabels Worte waren weniger eine Frage als eine Feststellung, denn gerade die engsten Familienangehörigen zählten in solchen Fällen stets mit zu den Hauptverdächtigen. Fabel hatte sich vorsichtig ausgedrückt, denn er wollte nicht andeuten, dass Klatt sein Handwerk nicht verstand.
Wenn der Kommissar verärgert war, so ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. »Natürlich. Wir haben jeden seiner Schritte an jenem Tag genau überprüft. All seine Angaben wurden bestätigt. Außerdem schien er ernsthaft besorgt um seine Schwester zu sein. So gut kann man sich einfach nicht verstellen.«
Doch, das kann man, dachte Fabel. Er hatte zahllose aufrichtig betrübt wirkende Liebhaber, Freunde oder Verwandte eines Opfers erlebt, die sich schließlich als die Mörder erwiesen. Aber er zweifelte nicht daran, dass Klatt Paula Ehlers’ Familie gründlich überprüft hatte.
»Sie hatten Paulas Lehrer im Verdacht…«, meinte Anna mit einem Blick auf die ihr vorliegende Akte.
»Fendrich. Er war Paulas Deutschlehrer. Ich würde nicht behaupten, dass er verdächtig war… Irgendetwas an ihm kam mir bloß seltsam vor. Aber auch er hatte ein ziemlich stichhaltiges Alibi.«
Klatt ging den Bericht mit Fabel und Anna durch. Offensichtlich hatte sich ein großer Teil der Ermittlung seinem Gedächtnis eingeprägt. Fabel wusste, was es bedeutete, sich mit einem solchen Fall herumzuschlagen. Es gab Nächte, in denen er verzweifelt versucht hatte zu schlafen, doch am Ende nur die dunkle Decke anstarrte, während ihm unbeantwortete Fragen zusammen mit den Bildern der Toten, der Trauernden und der Verdächtigen durch den ruhelosen, erschöpften Geist zogen. Als Fabel und Anna alles gehört hatten, was sie wissen wollten, standen sie auf und dankten Klatt für seine Zeit und Mühe.
»Wir sehen uns heute Abend noch«, meinte der Kommissar. »Ich nehme an, Sie werden dabei sein, wenn Herr und Frau Ehlers die Leiche identifizieren?«
Anna und Fabel wechselten einen Blick. »Ja«, bestätigte Fabel. »Wir werden dort sein. Sie also auch?«
Klatt lächelte traurig. »Ja, falls Sie nichts dagegen haben. Ich werde die Eltern nach Hamburg fahren. Wenn dies der
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