Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
wissen Ihre Kooperation zu schätzen.« Fabel schickte sich an zu wiederholen, dass diesalles sehr bedrückend für sie sein müsse. Doch dann schwieg er, weil er das Gefühl hatte, dass solche Äußerungen überflüssig waren. Nein, nicht überflüssig, sondern unangemessen. Die Angelegenheit war nicht bedrückend für sie, sondern einfach nur lästig. Er musterte ihr Gesicht. Hinter der oberflächlichen Ruhe schien sich nichts zu verbergen. Es gab keinen Hinweis darauf, dass sie in letzter Zeit Tränen vergossen oder an Schlafmangel gelitten hatte. Auch die Tatsache, dass sie Hanna Grünn als »das andere Opfer« bezeichnet hatte, deutete nicht auf Bosheit hin. Vera Schillers Kälte war kein Oberflächenfrost, sondern sie ging tief und hatte ihr Herz vereist. Fabel war ihr zweimal begegnet: zuerst in dem Haus, in dem sie mit ihrem Mann gewohnt hatte, und nun in dem Büro, das sie ebenfalls mit ihrem Mann geteilt hatte. Aber weniger als achtundvierzig Stunden nachdem sie erfahren hatte, dass Markus tot war, konnte keine Rede von einer »Lücke« sein, wie sie Anna Wolff beim Besuch des Hauses von Opfern empfand.
Fabel war nicht leicht aus der Fassung zu bringen, aber Vera Schiller gehörte zu den Furcht erregendsten Personen, die er kannte.
»Hatte Ihr Mann irgendwelche Feinde, Frau Schiller?«
Sie zog die makellos bemalten Lippen mit einem starren Lächeln von den Zähnen zurück. »Keine bestimmte Person, Herr Kriminalhauptkommissar. Niemanden, den ich mit Namen nennen könnte. Aber im allgemeinen Sinne, ja. Es muss ein Dutzend gehörnter Ehemänner und Freunde geben, die Markus feindlich gesonnen waren.«
»Hatte Hanna Grünn einen Freund?«, fragte Werner.
Frau Schiller lehnte sich zu ihm vor. Das Lächeln, das keins war, verschwand. »Ich bin nicht über das Privatleben meiner Angestellten informiert, Herr Kriminaloberkommissar Meyer.« Sie stand abrupt auf. »Ich begleite Sie jetzt hinunter in die Backstube. Wie gesagt, Herr Biedermeyer wird Ihnen mehr Einzelheiten über das ermordete Mädchen mitteilen können.«
Die Haupthalle der Backfabrik war in kurze Backstraßen unterteilt, auf denen unterschiedliche Produkte befördert oder zubereitet wurden. Sogar die Luft war teigig, gesättigt mit dem Geruch von Mehl und Backwaren. An den Wänden standen riesige Edelstahlöfen, und das Personal trug weiße Kittel und Schutzhauben. Wäre die geradezu essbare Luft nicht gewesen, so hätte man auch meinen können, in einer Halbleiterfabrik oder in der futuristischen Raumschiffzentrale aus einem Film der Sechzigerjahre zu sein. Wieder prallte die Realität mit Fabels Vorstellung von einer traditionellen deutschen Bäckerei zusammen.
Vera Schiller führte sie hinunter in die Fabrikhalle und ging auf einen sehr großen, äußerst kräftig gebauten Mann zu, den sie als Bäckermeister Franz Biedermeyer vorstellte. Bevor Fabel eine Möglichkeit hatte, ihr zu danken, drehte sie sich auf dem Absatz um. Ein verlegenes Schweigen hüllte die drei Männer ein, bis Biedermeyer freundlich lächelte und sagte: »Bitte verstehen Sie Frau Schiller. Vermutlich fällt ihr dies alles sehr schwer.«
»Sie scheint recht gut mit der Situation fertig zu werden«, erwiderte Fabel und versuchte, jede Spur von Sarkasmus in seiner Stimme zu vermeiden.
»Das ist ihre Art, Herr Fabel. Sie ist eine vorbildliche Arbeitgeberin und behandelt ihr Personal sehr gut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr der Verlust nicht zu schaffen macht. Herr und Frau Schiller haben eine sehr effektive, ja geradezu beeindruckende Partnerschaft gehabt. Jedenfalls im Geschäftsleben.«
»Und in persönlicher Hinsicht?«, fragte Werner.
Wieder lächelte der Bäckermeister freundlich, doch gleichzeitig zuckte er die Achseln. Die Fältchen um Biedermeyers Augen ließen vermuten, dass er sehr häufig lächelte. Dadurch wurde Fabel an seinen Bruder Lex erinnert, dessen fröhliche Persönlichkeit vor allem an seinen Augen und seinen Lachfältchen zu erkennen war. »Ich weiß eigentlich nichts über ihre persönliche Beziehung. Aber bei der Arbeit waren sie ein gutes Team. Frau Schiller ist eine clevere Geschäftsfrau und versteht sehr viel von kaufmännischer Strategie. Sie hat dafür gesorgt, dass die Bäckerei gute Gewinne macht, obwohl für die deutsche Wirtschaft insgesamt schlechte Zeiten herrschen. Und Herr Schiller war ein sehr, sehr guter Verkäufer. Er konnte glänzend mit den Kunden umgehen.«
»Mit Frauen auch, wie ich gehört habe«, sagte
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