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Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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seiner Brust ausbreitete, und er begann zu fürchten, dass auch dieser Versuch, die Leiche zu identifizieren, scheitern würde. Aber dann nickte Ulrike Schmidt.
    »Ja… ja, das ist meine Martha.« Keine Tränen. Kein Schluchzen. Sie starrte das Gesicht mit leerer Miene an, und ihre Hand bewegte sich der Wange entgegen, verhielt jedoch und fiel wieder schlaff hinab.
    »Sind Sie sicher, dass es Ihre Tochter ist?« Anna Wolffs Stimme hatte eine gewisse Schärfe, und Fabel warf ihr einen warnenden Blick zu.
    »Ja. Das ist Martha.« Ulrike Schmidt wandte die Augen nicht vom Gesicht ihrer Tochter ab. »Sie war ein artiges Mädchen. Ein wirklich artiges Mädchen. Sie hat sich um viele Dinge gekümmert. Um sich selbst.«
    »Ist etwas Ungewöhnliches an dem Tag geschehen, an dem sie verschwand?«, fragte Anna. »Haben Sie vielleicht eine ungewöhnliche Gestalt herumlungern sehen?«
    Ulrike Schmidt schüttelte den Kopf. Einen Augenblick lang wandte sie sich Anna mit toten Augen zu. »Die Polizei hat mich schon danach gefragt. Ich meine, die Polizei zu Hause, in Kassel.« Sie drehte sich wieder zu dem toten Mädchen auf der Bahre um. Zu dem Mädchen, das ermordet worden war, weil es einem anderen ähnelte. »Ich habe der Polizei von dem Tag erzählt… Mir ging es schlecht. Ich war nicht ganz bei der Sache. Martha ist fortgegangen, glaube ich.«
    Anna musterte Ulrike Schmidts Profil, doch die Frau merkte nichts von ihrem stummen Vorwurf.
    »Wir werden Ihnen Ihre Tochter bald überlassen können, Frau Schmidt«, sagte Fabel. »Sie wollen wahrscheinlich, dass sie zur Beerdigung nach Kassel gebracht wird.«
    »Warum denn? Tot ist tot. Ihr ist es egal. Nun kann es ihrgleichgültig sein.« Ulrike Schmidts Lider waren gerötet, doch nicht von Trauer. »Gibt es hier etwas Nettes?«
    Fabel nickte.
    »Wollen Sie sie denn nicht besuchen?« Bitterer Unglaube schwang in Annas Stimme mit. »Ihr Grab besuchen?«
    Ulrike Schmidt schüttelte den Kopf. »Ich hätte keine Mutter werden sollen. Als sie am Leben war, war ich eine miese Mutter, und ich wüsste nicht, wie ich nach ihrem Tod eine bessere sein kann. Sie hatte ein anderes Schicksal verdient.«
    »Ja«, bestätigte Anna. »Das glaube ich auch.«
    »Anna!«, zischte Fabel, aber Ulrike Schmidt überhörte Annas Worte entweder oder hielt sie für gerechtfertigt.
    Sie schaute Marthas Leiche noch einmal kurz an und fragte dann, an Fabel gewandt: »Muss ich noch irgendetwas unterschreiben?«
    Nachdem sich Ulrike Schmidt verabschiedet hatte, um die Rückfahrt nach Hause anzutreten, gingen Fabel und Anna aus dem Institut für Rechtsmedizin in den Tag hinaus. Eine milchige Wolkenschicht milderte die Helligkeit, aber Fabel setzte trotzdem seine Sonnenbrille auf. Er stemmte die Hände in die Hüften, blinzelte in den Himmel und wandte sich an Anna.
    »Das war das letzte Mal, Kommissarin Wolff. Was man auch von Leuten wie Frau Schmidt denken mag, man darf seine Meinung nicht auf diese Weise kundtun. Jeder trauert auf seine Art.«
    Anna schnaubte. »Sie hat überhaupt nicht getrauert. Sie ist einfach nur ein Junkie, der auf seinen nächsten Fix wartet. Es kümmert sie nicht einmal, was aus der Leiche ihrer Tochter wird.«
    »Darüber steht dir kein Urteil zu, Anna. All das ist Teil der Arbeit in der Mordkommission. Wir haben nicht nur mit dem Tod, sondern auch mit der Zeit danach zu tun. Mit den Folgen des Todes. Und manchmal muss man eben diplomatisch seinund den Mund halten. Wenn du das nicht kannst, hast du hier nichts zu suchen. Ist das klar?«
    »Jawohl, Chef.« Anna rieb sich frustriert die Kopfhaut unter dem kurzen schwarzen Haar. »Aber… aber sie ist doch angeblich eine Mutter, verdammt noch mal. Hier sollte doch irgendein… ich weiß nicht… Instinkt greifen. Das Bedürfnis, seine Kinder zu beschützen und zu versorgen.«
    »Das ist nicht immer der Fall.«
    »Sie hat es zugelassen, dass Martha so etwas zugestoßen ist.« Annas Tonfall hörte sich trotzig an. »Wahrscheinlich hat sie ihre Tochter als Kind übel zugerichtet. Denk doch nur an die Überdrehung und den Bruch des Handgelenks, als Martha ungefähr fünf Jahre alt war. Und Gott weiß, was seitdem sonst noch passiert ist. Aber noch viel schlimmer finde ich, dass sie das arme Mädchen sich selbst überlassen hat, weshalb es sich in dieser verflucht gefährlichen Welt allein durchschlagen musste. Die Folge davon war, dass ein Wahnsinniger sie entführt hat, dass sie wer weiß wie lange in Todesangst schwebte und dann ermordet

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