Jan Fabel 04 - Carneval
Initiative ergriff. Sie probierte einen Schluck und wirkte begeistert. Nachdem der Kellner Ansgars Glas gefüllt hatte, kostete er das Getränk ebenfalls. Ein aromatisches Sprudeln breitete sich in seinem Mund aus.
»Das ist wunderbar.« Er meinte es ehrlich. »Wirklich wunderbar.«
»Es ist Krimart oder Krimsekt«, erklärte sie befriedigt. »Aus der Weinkellerei Artjomowsk im Gebiet Donezk. Sie wurde übrigens von einem Deutschen gegründet. Einem Preußen. Krimart war das Lieblingsgetränk von Stalin und allen anderen kommunistischen Bossen.«
Ansgar sah zu, wie Jekaterina aß und redete. Natürlich bestritt sie in ihrem charmant gefärbten Deutsch den größten Teil des Gesprächs, und Ansgar konzentrierte sich vor allem darauf, sie beim Essen zu beobachten. Während der Mahlzeit gab sie sich große Mühe, ihm ein paar Einzelheiten über seine Kindheit, seine Familie und die Motive für seine Berufswahl zu entlocken. Ansgar wünschte sich, gesprächiger, umgänglicher und überhaupt ein interessanterer Begleiter zu sein. Doch in erster Linie wünschte er sich, mit einer attraktiven jungen Frau in diesem ukrainischen Restaurant sitzen und jemand anders sein zu können: jemand mit einem normalen Leben und normalen Trieben.
Jekaterina schien sich weiter keine Gedanken über Ansgars Schweigsamkeit zu machen. Sie erzählte ausführlich von ihrer Kindheit in der Ukraine, von der erstaunlichen Schönheit des Landes und der Herzlichkeit der Menschen.
Ansgar hörte ihr zu und sah sie freundlich an. Jekaterina trug, wie er annahm, ihre beste Kleidung. Sie war zweifellos nicht teuer, ließ jedoch einen gewissen Geschmack erkennen. Ihre weiße Bluse war bis zum dritten Knopf geöffnet, und wenn Jekaterina sich vorbeugte, konnte Ansgar die volle Rundung ihrer blassen, glatten Brüste sehen. Er wusste ihre Bemühungen zu schätzen, doch während des Essens musste er immer wieder die dunklen Fantasien verdrängen, mit denen er sie in Verbindung brachte.
Vom Restaurant aus nahmen sie ein Taxi. Die Speisen waren interessant gewesen, wie Ansgar einräumen musste. Es befremdete ihn stets und fiel ihm sogar schwer, sich zu einer Mahlzeit in ein anderes Restaurant zu setzen. Zum einen wurde er nie wie ein gewöhnlicher Kunde behandelt, denn er hatte sich einen Namen gemacht, und jeder, der etwas über die Kölner Gastronomie wusste, kannte ihn. Er war sicher, seinen Namen in dem ukrainischen Geplauder zwischen Jekaterina und dem Kellner gehört zu haben. Das zweite Problem war, dass er sein professionelles Ich zurücklassen musste, um sich der Erfahrung um ihrer selbst willen hinzugeben. In Wirklichkeit aber analysierte Ansgar jeden Bissen, beurteilte die Geschmackskombinationen und bewertete die Anordnung der Speisen auf dem Teller. Er war Künstler und maß sich gern am Stil anderer Künstler, um dadurch vielleicht etwas zu lernen. Auf diese Weise hatte er seinen beliebtesten Gerichten viele subtile Nuancen hinzugefügt, zu denen er durch eine weniger verfeinerte Variante in einem zweitklassigen Esslokal inspiriert worden war.
Während er neben Jekaterina auf den Rücksitz des Taxis glitt, merkte Ansgar, dass sein Magen zu voll war. Für ihn ging es bei einer Mahlzeit um die Qualität und die Erfahrung, nicht um die Menge. Er spürte die Hitze von Jekaterinas Körper, die sich an ihn lehnte. Ansgar war sich bewusst, dass er mehr als sonst getrunken hatte. Dadurch wurde er nervös, denn er fühlte sich mutiger und eher geneigt, seinen Impulsen nachzugeben. Auch jenem größten aller Impulse. Zudem spürte er die Unbekümmertheit und Leichtigkeit von Jekaterinas Bewegungen. Es war eine gefährliche Situation, und er kämpfte gegen die Bilder in seiner Vorstellung an. Bilder einer Fantasie, deren Erfüllung nun, wenn auch nur entfernt, möglich geworden zu sein schien.
Ansgar hatte geplant, Jekaterina vor ihrer Wohnung abzusetzen. Sie lud ihn noch auf einen Kaffee zu sich ein, doch er lehnte mit der Begründung ab, unendlich müde zu sein. Aber sie beugte sich zu ihm hinüber, küsste ihn und schob ihm die Zunge in den Mund. Ihre Zunge schmeckte nach Kaffee und dem Himbeeraroma des maliniwka -Likörs, den sie am Ende der Mahlzeit getrunken hatten.
Er bezahlte den Taxifahrer und folgte Jekaterina in ihr Mietshaus.
10.
»Weißt du, früher hatte ich eine Freundin, die sich gern fesseln ließ.« Scholz lehnte sich in seinem Stuhl zurück und hob eine Flasche Kölsch an die Lippen. »Ich meine, wirklich fesseln. Ganz straff.
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