Jan Fabel 04 - Carneval
einmal an den Mädchen. Wir sind hinter ihrem Kunden her. Aber wenn Sie wollen, können wir Ihren Betrieb unter die Lupe nehmen. Mit einigen Ihrer Kunden reden …«
Nielsen starrte Fabel einen Moment lang mürrisch an, bevor er nachgab. »Okay. Ich werde ihr mitteilen, dass sie sich bei Ihnen melden soll.«
»Nein«, widersprach Fabel. »Das genügt nicht. Wir brauchen eine Adresse, und wir müssen uns sofort mit ihr unterhalten.«
Nielsen seufzte erneut und schrieb eine Adresse auf seinen Notizblock, riss den Zettel ab und reichte ihn Fabel. »Sie hat gerade einen Kunden, aber bis Sie eintreffen, wird sie fertig sein. Ich benachrichtige sie, dass Sie zu ihr unterwegs sind. Sie wird im Hotelfoyer warten.«
»Ich glaube nicht, dass wir Herrn Nielsen sehr sympathisch waren«, bemerkte Scholz mit einem Grinsen, während sie zum Auto zurückkehrten. »Herrje, wie schön wäre es, die Bude auseinanderzunehmen. Ich wette, dass sich in den Dateien eimerweise Elend verbirgt. Wenn unsere Organisierte Kriminalität und das BKA recht haben, dann ist À la carte einer der Endabnehmer von Witrenkos Menschenhandel.«
Fabel dachte zurück an das Dossier über Witrenko. Er konnte sich nicht entsinnen, À la Carte in dem Verzeichnis der Firmen gesehen zu haben, die in den Menschenschmuggel verwickelt waren. Aber andererseits hatte er Dutzende vor sich gehabt. Wer immer dem Bundeskriminalamt all die Informationen lieferte, war sein Gewicht in Gold wert. Fabel hatte die vollständige Version der Akte erbeten, doch der Name des Informanten und alle möglichen Hinweise auf seine Identität waren entfernt worden.
Scholz’ Handy klingelte.
»Das war Tansu«, sagte er, nachdem er das Gespräch beendet hatte. »Sie hat unseren Freund Nielsen überprüft. Vor ungefähr zehn Jahren musste er drei Jahre in Frankfurt absitzen. Schwere Körperverletzung. Drogen waren auch im Spiel. Seitdem nichts mehr, aber für mich stinkt er nach organisiertem Verbrechen.«
»Für mich auch«, stimmte Fabel zu. »Aber er ist nicht der für Witrenko typische Fußsoldat. Es hat wahrhaftig den Anschein, dass sich die Geschäfte unseres ukrainischen Genossen globalisieren. Vielleicht vergibt er schon Lizenzen für einige seiner Unternehmungen.«
»Tansu sagt außerdem, dass sie bisher nicht mit Vera Reinartz – oder wie immer sie nun heißt – hat sprechen können. Aber ihr liegen nun eine Geschäfts- und eine Privatanschrift vor. Sie möchte sich heute Nachmittag gegen vier mit uns treffen. Aber davor sollten wir bei dieser Internetfirma vorbeifahren. Das Hotel, in dem die Prostituierte arbeitet, liegt in derselben Richtung.«
Das Hotel gehörte zu den feudaleren Gebäuden am rechten Rheinufer. Fabel und Scholz warteten, wie verabredet, in der Nähe des Eingangs. Die gesamte Front bestand hier aus Glasscheiben, und Fabel bewunderte die Ansicht der Hohenzollernbrücke sowie – am anderen Ufer – der Altstadt und des Turms von Groß St. Martin. Alles wurde natürlich von der hochragenden Masse des Kölner Doms beherrscht.
»Spektakulär«, sagte Fabel.
»Ja, ja«, erwiderte Scholz gleichgültig, während er sich im Foyer umschaute. »Das ist sie wohl.«
Eine junge Frau näherte sich ihnen mit einer Miene, die eine Mischung aus Furcht und Misstrauen erkennen ließ. Sie war dezenter gekleidet, als Fabel erwartet hatte, doch andererseits war dies bestimmt kein Hotel, in dem man Vertreterinnen ihres Gewerbes willkommen hieß. Fabel nahm ihre Figur zur Kenntnis: schlank, abgesehen von der ausgeprägten Rundung ihrer Hüften. Genau wie die Opfer des Karnevalskannibalen.
»Sind Sie Ljudmila Blisnjuk?« Scholz stolperte über den Nachnamen.
»Ja. Aber ich benutze nie meinen vollständigen Vornamen. Alle nennen mich Mila. Was soll ich getan haben? Meine Papiere sind in Ordnung.«
»Und Sie führen auch den Berufsnamen ›Anastasia‹?«
»Ja. Ich nenne Kunden nie meinen wirklichen Namen. Worum geht es?«
»Zeigen Sie mir Ihre Ausweispapiere.« Scholz streckte die Hand aus.
»Was? Hier?« Sie warf einen nervösen Blick zur Rezeption hinüber. Scholz machte eine ungeduldige Geste, und Mila zog ihren Personalausweis und zwei Dokumente der Ausländerbehörde aus ihrer Handtasche.
»Vielleicht sollten wir uns an eine etwas diskretere Stelle zurückziehen«, schlug Fabel vor und deutete auf eine Gruppe niedriger Sofas am Fenster.
»Mila, wir möchten mit Ihnen über den Vorfall vor ein paar Wochen reden. Und über den Mann, der Sie gebissen hat.« Fabel
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