Jan Fabel 04 - Carneval
sie beschattet, als sie ihren vollbeladenen Einkaufswagen über den Asphalt zu ihrem Kleinbus schob. Dann war er ihr durch das Stadtzentrum zu ihrem Café am nordwestlichen Rand der Altstadt gefolgt. Und heute war er zurückgekehrt.
Das Café hatte das anonym-modische Aussehen fast jeder derartigen Einrichtung, und über dem großen Panoramafenster prangten die Lettern AMAZONA CYBER-CAFÉ. Ansgar lächelte über die Wahl des Namens. Er überlegte, ob er hineingehen sollte. Wahrscheinlich würde sie ihn nicht wiedererkennen, aber das Risiko war zu groß. Also beobachtete er das Café lediglich von der anderen Straßenseite.
Ansgar schaute auf die Uhr. Seine Schicht begann in zwei Stunden. Bis dahin musste er eine Entscheidung treffen.
4.
»Die Papiere sahen ziemlich echt aus«, sagte Scholz, während sie die Brücke zum linken Rheinufer überquerten. »Aber ich gehe jede Wette ein, dass es Fälschungen sind.«
»Da bin ich mir nicht sicher«, widersprach Fabel. Mila hatte beteuert, dass sie freiwillig nach Deutschland gekommen sei und sich ihren Lebensunterhalt selbst ausgesucht habe. Sie wirkte nicht unterdrückt, doch der wahre Sachverhalt war natürlich schwer festzustellen. Prostitution, ob legal oder nicht, ist selten ein ganz und gar freiwillig gewählter Beruf.
Milas Missmut darüber, im Gespräch mit zwei Polizisten gesehen zu werden, hatte allerdings nicht nur mit ihrem Gewerbe zu tun. Sie war von Scholz mehr als verächtlich behandelt worden. Fabel gefielen die Lockerheit und Freundlichkeit seines Kollegen, doch dessen Einstellung zu Frauen beunruhigte ihn. In Fabels Team hatten von jeher Beamtinnen mitgearbeitet, aber er machte nie den bewussten Versuch, Frauen zu sich zu holen. Nur wer es verdient hatte, rückte ins Team auf. Fabel ärgerte sich darüber, dass Scholz Tansu, die offensichtlich eine fähige Kriminalbeamtin war, geradezu geringschätzig behandelte. Und besonders die Art und Weise, wie er mit Mila umgesprungen war, irritierte Fabel.
Der MediaPark am Nordrand der Neustadt war ein recht neues Element im Kölner Landschaftsbild.
»Der KölnTurm ist erst vor ungefähr vier Jahren geöffnet worden. Etliche Büroräume stehen noch leer«, erklärte Scholz, als sie auf der Suche nach einem Parkplatz durch die Straßen kurvten. Schließlich stellten sie das Auto in einer Tiefgarage ab und gingen durch den kalten Nieselregen auf die helle Glas-und-Stahl-Konstruktion des KölnTurms zu. InterSperse Media befand sich in der vierten Etage.
Es gab keinen gesonderten Empfangsbereich, und die meisten Mitarbeiter, die sich durch das Großraumbüro bewegten oder an Rechnern saßen, waren in den Zwanzigern oder frühen Dreißigern. Alle trugen saloppe Sweat- oder T-Shirts und Jeans. In einer Umgebung wie dieser hatte Fabel stets das Gefühl, einer anderen Epoche anzugehören. Obwohl er sich als vorurteilslos einschätzte, stellte er oft fest, dass solche Situationen den Reaktionär in ihm weckten: den norddeutschen Lutheraner, der meinte, dass man sich für die Arbeit formell anzuziehen habe; dass Piraten die einzigen Männer seien, die Ohrringe tragen durften; dass Tätowierungen an Frauen unschön wirkten.
»Cool ist es hier«, sagte Scholz, dem ein solcher Konservatismus offenbar fremd war. Eine dicke junge Frau kam auf sie zu. Obwohl sie der Fettleibigkeit nahe war, trug sie Jeans und ein Top, das ihre üppige Taille entblößt ließ. Wie zu erwarten war, hatte sie auch ein Piercing: einen Ring im Nasenflügel.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie in einem Tonfall, der vermuten ließ, dass ihr nichts ferner lag. Scholz zeigte ihr seinen Personalausweis, und ihre umwölkte Miene verfinsterte sich noch mehr.
»Wir möchten mit David Littger sprechen.«
»Sie werden warten müssen. Er ist in einer Sitzung.«
Scholz lächelte nachsichtig, als wäre sie ein Kind, das etwas niedlich Naives gesagt hatte. »Nein, nein, wir werden nicht warten. Dies ist eine Mordermittlung. Also holen Sie ihn sofort, oder wir marschieren in seine Sitzung. Klar?«
Sie stürmte davon, sodass die beiden Männer ihre rundliche Figur von hinten bewundern konnten.
»Sie sollte hilfsbereiter sein«, meinte Scholz. »Weiß der Himmel, was unser Mann tun würde, wenn er diesen Arsch zu Gesicht bekäme. Damit hätte er sechs Monate Verpflegung.«
Fabel konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Die junge Frau kehrte nach einer Minute zurück und führte sie mürrisch in das einzige Besprechungszimmer, einen Glaskasten in
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