Jan Fabel 05 - Walküre
abholten. Das hätte für Jens die Sache einfacher gemacht. Sie sind ihm also nicht begegnet ...«
»Wir haben miteinander telefoniert. Einmal.« Er lachte ohne jede Wärme. »Ist dies ein Verhör, Frau Vestergaard? Wenn ja, möchte ich Sie daran erinnern, dass ich hier der Polizeibeamte bin. Und wenn Jespersens Tod etwas Verdächtiges an sich hat, dann ist es mein Fall, nicht Ihrer. Hier bin ich zuständig.«
»Jens konnte Deutsche nicht leiden«, sagte sie mit immer noch kühler, fast kalter Stimme. »Wussten Sie das?«
»Nein. Gab es einen besonderen Grund dafür?«
»Den üblichen. Den Krieg. Wie ich war Jens sehr stolz darauf, dänischer Polizist zu sein. Ein edles Vermächtnis. Wissen Sie, was einer unserer stolzesten Momente war?«
»Ich nehme an, Sie werden es mir mitteilen.«
»Während des Krieges war die dänische Polizei, im Unterschied zu der in anderen besetzten Ländern, nicht zur Kollaboration bereit. Die Beamten arbeiteten nur oberflächlich mit den Deutschen zusammen. Im Wesentlichen versuchten sie, ihre normale Aufgabe zu erfüllen, das heißt, Polizisten zu sein. Dann, als die Deutschen ihnen befahlen, Objekte vor Angriffen durch den dänischen Widerstand zu schützen, teilten sie ihnen mit, sich zum Teufel zu scheren. Wissen Sie, was daraufhin geschah?«
Fabel hob die Schultern.
»Sie sind von Ihnen ins Konzentrationslager Buchenwald geschickt worden.«
»Einen Augenblick mal, Frau Vestergaard. Ich habe niemanden in Konzentrationslager geschickt. Damals war ich noch gar nicht am Leben. Und wenn ich das gewesen wäre, hätte ich mich niemals den Nazis angeschlossen.« Fabel ärgerte sich darüber, dass er sich seinen Zorn hatte anmerken lassen. Sie provozierte ihn bewusst.
»Wirklich?«, erwiderte sie, als wäre sie ein wenig überrascht. »Jedenfalls sind Dutzende von dänischen Polizisten in Buchenwald gestorben. Erst nachdem man sie zu Kriegsgefangenen erklärt und verlegt hatte, sank ihre Sterbequote. Aber sie taten immer noch nicht das, was Sie - ich meine die Deutschen ... ich meine die Nazis ... Entschuldigung, ich weiß nicht recht, wen ich als Verantwortlichen für die Gewaltanwendung gegen Dänemark nennen soll - von ihnen wollten.«
»Und deshalb hasste Jespersen die Deutschen? Offen gesagt, ich habe den Eindruck, dass Sie die gleichen Vorurteile hegen wie er.«
»Jens kam aus einer Familie mit einer langen Polizeitradition. Sein Großvater war während des Krieges Polizist, genau wie sein Vater, der damals erst einundzwanzig Jahre alt war. Beide wurden nach Buchenwald verfrachtet. Jens' Großvater gehörte zu denen, die starben. Sein Vater überlebte mit knapper Not.«
»Ich verstehe. Aber worauf wollen Sie hinaus?«
»Darauf, dass Jens Deutschland ohne einen verdammt guten Grund niemals betreten hätte.«
»Und Sie wissen nicht, warum er hier war?«
»Ich habe eine Ahnung. Aber das ist alles. Jens war ...« Zum ersten Mal seit ihrem Zusammentreffen suchte die Dänin nach dem richtigen Wort. »Jens konnte schwierig sein. Er hatte eine Neigung, die Dinge im Alleingang zu machen. Seinem Instinkt zu folgen.«
»Dagegen ist nichts einzuwenden.«
»Nein, jedenfalls nicht, wenn man seine Kollegen ... seine Vorgesetzte ... über seinen Aufenthaltsort und seine Aktionen auf dem Laufenden hält.«
»Aber wir haben ein offizielles Ersuchen von Ihnen bekommen, Jespersen zu unterstützen. Sie wussten also, dass er nach Hamburg reisen würde.«
»Er hat mich über einen Teil seines Vorhabens informiert, doch nicht über alles. Es gab Probleme mit Jens. Er war von der alten Garde, und ich habe unter seinem Befehl angefangen. Es fiel ihm schwer zu akzeptieren, dass er nun mir Rechenschaft ablegen musste. Außerdem hatte er die Angewohnheit, sich auf seine eigenen kleinen Kreuzzüge zu begeben.«
Karin Vestergaard musste die leichte Veränderung von Fabels Gesichtsausdruck bemerkt haben. »Ich scheine eine Saite berührt zu haben.«
»Eine lange Geschichte«, erwiderte Fabel. »Ich habe ... ich hatte eine Beamtin, die das Gleiche tat. Es hat sie den Verstand gekostet.«
»Aha. Ich glaube, dass Jespersens letzter Kreuzzug ihn vielleicht das Leben gekostet hat. Haben Sie von der Sirius-Patrouille gehört?«
Fabel schüttelte den Kopf.
»Die Sirius-Patrouille ist eine Spezialeinheit der dänischen Marine. Sie überwacht den äußersten Nordosten von Grönland für den Fall, dass unsere russischen Freunde zu Besuch kommen. Diese Soldaten sind die
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