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Jan Fabel 05 - Walküre

Titel: Jan Fabel 05 - Walküre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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entweder verlegen oder kokett auftraten. Wenn er nicht auf ihre Flirtversuche reagierte, groll­ten sie ihm ebenfalls. Aber häufig hatte er reagiert. Natürlich war sein Äußeres hilfreich gewesen. Als Betriebswirtschaftsstu­dent hatte er sein Einkommen durch die Arbeit als Fotomodell aufgebessert. Jeder Posten, für den man ihn zu einem Vorstel­lungsgespräch eingeladen hatte, war ihm angeboten worden. Und obwohl er damals noch nicht viel Geld verdiente, war er natürlich in eine trendige Gruppe aus Blankenese aufgenom­men worden. Blankeneser Mädchen schwammen gewöhnlich im Geld. Peter Claasens hatte herausgefunden, dass das Glück wahrhaftig den Schönsten hold ist.
    Aber durch sein Aussehen war er auch von aufrichtigen Emotionen ferngehalten, isoliert worden. Und nun stand er in der oberen Etage des fast fertiggestellten ScanMedia-Gebäudes und sinnierte über ein Leben der Verführung und des Ehe­bruchs. Er schaute auf den dunkler werdenden Hamburger Ho­rizont und dachte an all die Frauen, mit denen er zusammen gewesen war, wenn er bei seiner Frau hätte sein sollen. Und in jenem Moment empfand er eine ehrliche, uneingeschränkte Reue.
    Der Grund dafür, dass er an all die Frauen in seinem Leben dachte und Mitgefühl mit seiner Ehefrau verspürte, war die schlichte Tatsache, dass nun alles hinter ihm lag. Etwas Uner­wartetes war Peter Claasens zugestoßen: Mit zweiundvierzig Jahren hatte er sich verliebt. Von Anfang an konnte man die Sa­che nicht mit seinen anderen Affären vergleichen, denn Emily hatte nicht auf seine üblichen Manöver und Tricks reagiert und war nicht sofort mit ihm im Bett gelandet. Sie hatte mit ihm ge­redet und ihm zugehört. Es war, als wäre Emily blind für sein Äußeres, was ihr gestattete, sein Innerstes wahrzunehmen. Und nun hatte Claasens, wenn sie nicht bei ihm war, das Gefühl, den Atem anhalten zu müssen, bis seine Lunge brannte.
    Emily war eine Engländerin mit feuerrotem Haar und grü­nen Augen. Sie sprach fließend Deutsch, doch mit dem nied­lichsten Akzent. Offensichtlich hatte sie der Grammatik der Sprache nie die geringste Beachtung geschenkt. Und sie war entzückend unbeholfen, sodass er eines Tages außerhalb seiner Büroräume buchstäblich über sie stolperte. Sie war schwer ge­stürzt, und er hatte ihr auf die Beine geholfen und ihr angebo­ten, sich in seinem Büro ein wenig auszuruhen. Sie hatte char­mant gelächelt und erklärt, dass es ihre Schuld sei und dass es ihr bestens gehe. Dann hatte sie ihre Sachen aufgesammelt und war weitergeeilt. Claasens kehrte nicht in sein Büro zurück, sondern lief impulsiv hinter Emily her und bat, sie wenigstens zu einem Kaffee einladen zu dürfen. Sie willigte ein, und damit hatte es begonnen.
    Seitdem waren zwei Monate vergangen. In dieser kurzen Zeit hatte der stürmische englische Rotschopf seine Welt auf den Kopf gestellt. Sie hatte gezögert, sich mit einem verheira­teten Mann einzulassen, doch er hatte behauptet, seine Ehe sei seit Jahren zum Untergang verurteilt. Als sie ankündigte, sie wolle nach England zurückkehren, beteuerte Claasens, er könne ohne sie nicht mehr leben. Er werde seine Frau verlassen, und sie könnten sich gemeinsam hier in Hamburg eine Wohnung su­chen. Doch Emily wollte niemandem unnötig wehtun. Er solle seiner Frau mitteilen, dass er ausziehen werde, weil ihre Ehe nicht mehr zu retten sei, aber er solle verschweigen, dass er eine neue Beziehung begonnen habe. Das sei besser für seine Frau und die Kinder und auch für Emily und Claasens. Sie hatte ihn sogar gebeten, ihr den Brief zu zeigen, den er seiner Frau zu schi­cken gedachte. Dann hatte sie Änderungen daran vorgenom­men, damit niemand unnötig verletzt wurde. Emily war ein gu­ter Mensch. Ein viel, viel besserer Mensch als er, und durch sie wurde auch er zu jemandem, an dem er Gefallen finden konnte.
    Und nun stand er hoch oben auf einem der größten Ham­burger Bauprojekte außerhalb der HafenCity und dachte an die Vergangenheit, die er bald hinter sich lassen würde.
    »Hallo, Peter.«
    Er drehte sich zu ihr um. Der dunkle Wollmantel und die Baskenmütze betonten das Rot ihrer Haare und das Grün ihrer Augen.
    »Hallo, Emily.« Er lächelte und beugte sich vor, um sie zu küssen, doch sie legte ihre in Handschuhen steckenden Finger­spitzen an seinen Mund.
    »Hast du ihn mitgebracht?«, fragte sie.
    »Ja, ich habe ihn mitgebracht. Und ihn genauso abgeändert, wie du es wolltest. Typisch, dass du dir um andere

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