Jane Christo - Blanche - 01
sie immer so begrüßt hatte. Damals lebte sie noch auf der Straße und das muntere Kerlchen war seinem Besitzer davongelaufen. Leider wurde er schon bald gefunden, was keine Überraschung war – immerhin hatte sein Eigentümer einen fetten Finderlohn ausgesetzt. Bei Zoey verhielt es sich ganz ähnlich. Jedes Mal, wenn sie ihn traf, schleckte er sie ab. Doch obwohl die Italiener wie auch die Sankt-Petersburger ein ansehnliches Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatten, brachte niemand diesen Streuner zu ihnen. Blanche konnte das nur recht sein – Zoey gehörte ihr. Sie hatte vor, diesen Drecksack zu Hackfleisch zu verarbeiten und ihn für Andrejs, Waynes und Renées Tod bluten zu lassen. Dafür musste sie sich nur noch von ihm befreien und an die Glock kommen. Scheiß Konjunktiv.
„Du schuldest mir ein Dutzend meiner besten Männer“, hauchte er und sog ihren Duft ein.
Wenn diese Loser, die sie in der letzten Stunde erledigt hatte, seine besten Kämpfer waren, dann gute Nacht, Zoey. Aus dem Gang hinter ihnen hallte ein Warnruf. Zoey seufzte.
„Leider muss ich unsere Unterhaltung auf später verschieben, denn wir waren gerade im Begriff, auszuchecken.“
Mit einem knappen Befehl wies er seine Männer an, den Weg zum le KoKolion freizumachen. Dann packte er mit eisernem Griff ihre Handgelenke und schleppte sie mit sich. Ihr Hirn arbeitete auf Hochtouren. Ihre Hände waren blockiert, aber sie hatte die Beine frei. Das reichte zwar, um Zoey und ein paar seiner Hohlköpfe unschädlich zu machen, war aber nicht genug für das ganze Bataillon, das sie wie einen Rattenschwanz hinter sich herzogen. Doch ihr blieb keine Wahl. Wenn sie jemals wieder die Sonne sehen wollte, musste sie sich befreien – jetzt! Hätte Zoey sie erstmal irgendwo eingesperrt, wäre an Flucht nicht mehr zu denken.
Fokussiere dich auf dein Ziel, dann gehe den nächsten Schritt!
Beinah wäre sie zusammengezuckt – Waynes mahnende Worte klangen so eindringlich, als würde er direkt neben ihr stehen.
Also schön, was war ihr Ziel? Am Leben bleiben. Zoey abmurksen. Waynes Seele retten. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussah, standen diese drei Vorhaben in unmittelbarem Zusammenhang. Denn falls sie lange genug überlebte, um diesem Flachwichser das Licht auszublasen, wäre Waynes Tod gerächt. Dann wäre seine Seele frei und Wayne konnte das Zwischenreich verlassen. Oder nicht?
Sie war immer davon ausgegangen, dass es genau darum ging, doch in diesem Moment war sie nicht mehr so sicher. Zoey war eine harte Nuss und verdammt schwer, zur Strecke zu bringen. Sollte Waynes Seelenheil wirklich davon abhängen, dass sie seinen Mörder kaltmachte? Würde er dann seinen Frieden finden? Das fühlte sich nicht richtig an.
Ihr Mentor hatte sie bestimmt nicht jahrelang ausgebildet, damit sie am Ende unter Zoeys Messer landete. Wayne war ihr wie ein Vater gewesen, hatte ihr alles beigebracht, was er wusste und das aus einem einzigen Grund: Um ihr eine Zukunft zu geben. Weil er wollte, dass sie lebt. Doch hier ging es um mehr als ihr Leben. Waynes Seele stand auf dem Spiel. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit, sie zu retten.
Hatte Beliar irgendwann einmal etwas darüber fallen lassen, was es mit diesem Erlösungsding auf sich hatte? Wie zur Hölle befreite man eine Seele aus dem Zwischenreich, wenn nicht durch Rache?
Verdammter Mist, warum hatte sie Beliar nicht gefragt? Zumindest das war leicht zu beantworten. Sie hätte ihm nicht geglaubt. Beliars erklärtes Ziel war, Wayne zu versklaven, nicht, ihn zu retten. Wobei sie bis vor Kurzem nicht einmal an Dämonen geglaubt hatte. Schon gar nicht an eine unsterbliche Seele, was die Sache zusätzlich verkomplizierte.
Waynes Seele war jedoch nicht unsterblich, wie sie neuerdings wusste. Sie war sogar ziemlich zerbrechlich und würde sich heute Nacht auflösen, wenn es ihr nicht gelingen würde, sie zu retten. Jetzt blieben ihr nur noch wenige Stunden, um herauszufinden, ob Zoey der Schlüssel zu Waynes Erlösung war oder nicht. Im Augenblick bezweifelte sie allerdings, dass sie lange genug leben würde, um dieses Rätsel zu lösen.
Aber sie musste leben!
Wenn der Russe gewann, hatte nicht nur sie verloren, sondern auch Wayne und Andrej und das konnte sie nicht zulassen. Verfluchte Scheiße, Gott, dachte sie. Falls es dich gibt, wäre das der perfekte Moment für eines deiner beschissenen Wunder.
Sie hatten Renées Grab passiert, als ein heller Feuerschein wie ein brennender Dornbusch am Ende des
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