Jane Christo - Blanche - 01
klang heiser.
„Als mein Vertrag geschlossen wurde, war ich fünfzehn. In meiner Unerfahrenheit habe ich kein zeitliches Limit einsetzen lassen, was aus mir einen lebenslangen Sklaven gemacht hat, ohne Aussicht, mich jemals befreien zu können. Den Trick mit dem Zeitlimit und der Ausstiegsklausel habe ich erst viel später gelernt.“ Er machte eine wegwischende Handbewegung, als wollte er eine unliebsame Erinnerung vertreiben. „Tchorts Verschwinden war meine erste reale Chance, mich aus Saetans Krallen zu befreien. Nachdem der Dämon abgetaucht war, weigerte ich mich, weiterhin den Rattenfänger zu geben, denn den Pakt habe ich mit Tchort abgeschlossen, sein Blut speiste das Siegel.“
Abermals ließ er die Schultern hängen. Er sah mitgenommen aus, und diesmal lag es nicht an seinem zerschlagenen Gesicht. Das Haar war zerzaust, der Blick glasig. Es kam ihr vor, als wäre er vor ihren Augen geschrumpft. Mit müden Schritten schlurfte er zurück zu seinem Schreibtisch und ließ sich schwer in den Sessel fallen. Nachdem er eine Weile seine Hände betrachtet hatte, fuhr er mit belegter Stimme fort.
„Und dann taucht wie aus dem Nichts Victors Sohn auf. Es war wie damals, als Wayne urplötzlich auf der Bildfläche erschienen war und in Paris aufräumte. Ich habe es nicht verstanden. Habe nicht gesehen, was vor sich ging.“ Seine Stimme wurde dünn. „Er kam in Saetans Auftrag, um mich zu bestrafen, mir mein Geschäft zu nehmen, meine Zukunft, Renée …“ Leos Stimme brach und eine Pause entstand, in der er den Kopf schüttelte, wie vor ein paar Tagen in der Kirche. War das wirklich erst eine Woche her? „Die ganze Zeit habe ich es nicht begriffen …“
„Was?“
Leo hielt mit dem Kopfschütteln inne und sah sie an. „Ich habe Saetan nie gebraucht. Alles, was ich geschafft habe, hätte ich auch ohne ihn erreicht.“
„Ich dachte, er hätte dich von der Straße geholt?“
„Wochen, bevor es mir so dreckig ging, fand mich einer von Vincenzos Männern an der Metrostation. Hat mich gefragt, ob ich Italiener sei.“
Vincenzo war Enzos Onkel und damals der Kopf der italienischen Mafia in Paris. Da er keine Söhne hatte, übertrug er nach und nach Enzo die Verantwortung für die Arrondissements, bis er sich mit zweiundsiebzig Jahren nach Sizilien zurückzog, und die Geschäfte vollständig in die Hände seines Neffen legte.
„Ich hätte auch ohne Saetan eine Möglichkeit zum Überleben gefunden. Doch statt an meiner Zukunft zu arbeiten, habe ich sie mir auf einem Silbertablett servieren lassen.“ Wieder schüttelte er den Kopf. „In Wahrheit habe ich oft Hilfe angeboten bekommen. Aber entweder war ich zu stolz oder zu wütend, um sie anzunehmen. Es gab immer einen Grund, an meinem Elend festzuhalten, denn in Wahrheit dachte ich, ich hätte es verdient. Dachte, es wäre richtig. Ich musste erst ganz unten ankommen, um zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Leben oder sterben.“ Er hielt einen Moment inne und sah sie an. „Sterben ist gar nicht so schwer, weißt du. Wenn man erstmal losgelassen hat, ist es sogar ziemlich einfach. Es braucht viel mehr Mut, sich seinen Fehlern zu stellen, aus ihnen zu lernen und weiterzumachen. Am Anfang musst du dich Tag für Tag zusammenreißen. Dich abmühen und an den Haaren aus dem Dreck ziehen. Das Schwierigste ist, deine Ängste anzunehmen und sie zu überwinden. Aber wenn du das einmal getan hast, Blanche, wird es beim nächsten Mal leichter. Die Hürden kommen dir nicht mehr unüberwindlich vor und irgendwann fühlst du dich besser.“ Leo beugte sich vor und stützte seine Unterarme auf den Tisch. Sein Blick wurde eindringlich. „Für mich ist es zu spät, Mädchen. Aber nicht für dich. Schmeiß dein Leben nicht weg, du hast noch alles vor dir!“
Blanche erhob sich mit weichen Knien. Diesmal war sie es, die den Kopf schüttelte. „Für mich ist es auch zu spät, ich kann nicht mehr zurück.“
Er war aufgestanden und umrundete den Tisch. Vor ihr blieb er stehen und ergriff ihre Schultern, als wollte er sie schütteln. „Verlass noch heute die Stadt. Fahr in die Schweiz und nimm das Geld. Du bist noch so jung!“
„Ich muss dieses Dreckschwein erledigen, sonst drehe ich durch.“ Ihre Stimme klang schrill.
„Das verstehe ich, Mädchen. Aber bedenke, wer er ist. Er ist jetzt ein Bündnis mit dem Teufel eingegangen, das ihn für Menschen nahezu unverwundbar macht. Saetan verliert nicht gern eine Seele, darum passt er gut auf Zoey auf. Momentan ist der
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