Jane Christo - Blanche - 01
ich.“
Was denn noch? Sie wappnete sich innerlich für eine neue Hiobsbotschaft.
„Die Dinge“, begann er stockend „die ich dir in der Kirche erzählt habe – die Sache über Beliar und den Teufelspakt.“ Unruhig fuhr er mit der Hand über die gefurchte Stirn. „Das alles habe ich nicht von Wayne erfahren.“
Was sollte das jetzt wieder?
Doch Leo war bereits zu tief in die Vergangenheit abgetaucht, um ihr Unbehagen zu bemerken. Nach einem letzten Zögern fuhr er mit brüchiger Stimme fort. „Vor knapp dreißig Jahren habe ich mich mit einem von Saetans Dämonen eingelassen und einen Pakt geschlossen. Damals lebte ich wie du auf der Straße und kämpfte im siebzehnten Arrondissement ums Überleben. Dann verkaufte die Stadtverwaltung die leer stehenden Gebäude, die uns bis dahin als Unterkunft gedient hatten, an eine ausländische Investorengruppe. Diese plante eine Kernsanierung und als Erstes flog das Ungeziefer raus – die illegalen Bewohner. Sie verscheuchten uns nachts, bevor eine politische Sache daraus werden konnte. Es war Ende Dezember und wir starben wie die Fliegen, denn niemand von uns wollte zurück in eine der staatlichen Einrichtungen, bei denen Übergriffe an der Tagesordnung waren. Mit Schlägen hätten wir noch leben können, aber das andere …“
Er brach ab und schüttelte den Kopf. Was konnte einen Jungen dazu treiben, lieber auf der Straße an Kälte und Hunger zu sterben, als in einem Heim eine raue aber zumindest warme Zuflucht zu finden?
Leo stieß einen tiefen Seufzer aus und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Nicht nur Mädchen können Opfer sexueller Gewalt werden“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und mied ihren Blick.
Ihr Hals wurde eng. Oh nein, bitte nicht.
Leo räusperte sich. „Es dauerte nicht lange, bis ich vor Kälte zusammenbrach. Ich brauchte Essen und einen Unterschlupf. Aber vor allem brauchte ich einen Grund, weiterzuleben. Als ich eines Tages nicht mehr wusste, wie ich die kommende Nacht überleben soll, schickte Saetan mir seinen Dämon, Tchort – den Schwarzen Gott. Er versprach mir eine glänzende Zukunft, wenn ich für den Teufel auf Seelenfang gehen würde.“ Er sah kurz auf und lächelte traurig. „Ich besitze ein Gespür für Menschen, musst du wissen. Das hat mir oft geholfen, Ärger aus dem Weg zu gehen. Mein Pakt mit Tchort sah vor, Menschen für Saetan aufzuspüren, die sich wie ich in einer Notsituation befanden und bereit waren, ihm ihre Dienste anzubieten – oder ihre Seele.“
Langsam dämmerte es ihr. Wer ging schon in eine Pfandleihe, um sein letztes Hemd zu versetzen? Verzweifelte Menschen, die dringend Geld brauchten. Die zu Hause oft deswegen stritten …
Sie wollte nicht hören, was er als Nächstes sagen würde, dennoch brachte sie es nicht über sich, aufzustehen und zu gehen. Es war die Faszination des Grauens, die sie stocksteif auf ihrem Platz gefangen hielt. Als würde man einen TGW dabei beobachten, wie er auf einen entgegenkommenden ICE zurast. Man weiß, dass man die Kollision nicht verhindern kann – aber wegsehen geht auch nicht.
„Nachdem Wayne Frau und Kind verloren hatte, wollte er sich das Leben nehmen. Er hatte seine Tochter über alles geliebt, und auch wenn er und Anaïs sich nicht mehr wie am Anfang ihrer Beziehung verstanden, so hatte er sie doch geliebt. Er wusste, dass die Armut sie bitter und hart gemacht hatte, und gab sich die Schuld daran.“
„Und in dieser Situation hast du ihn Saetan in die Arme getrieben“, flüsterte sie entsetzt.
Leo nickte. „Damals habe ich mir eingeredet, ich würde sein Leben retten, aber mit den Beschönigungen bin ich fertig. Zugegeben, ich habe den Vertrag so aufgesetzt, dass Wayne seine Seele behält. Das Abkommen war ein Austausch von Leistungen, begrenzt auf zwanzig Jahre. Doch das ändert nichts daran, dass ich seine Schwäche ausgenutzt und ihn in den Teufelspakt gedrängt habe. Am Ende hat er seine Seele obendrauf gelegt, weil er aufgrund des jahrelangen Mordens davon ausging, verdammt zu sein. Er glaubte, dass er außer dir nichts zu verlieren hätte und ich habe nicht einmal versucht, ihm das auszureden.“ Leo erhob sich umständlich und ging vor ihr auf und ab.
„Nachdem ich erfuhr, dass er Tchort entkommen ließ, habe ich zum ersten Mal seit dreißig Jahren wieder Hoffnung geschöpft, denn meinen Pakt hatte ich mit dem Schwarzen Gott geschlossen.“
„Das verstehe ich nicht. Wie lange war denn deine Laufzeit?“ Ihre Stimme
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