Jane Christo - Blanche - 01
Platz in dieser Welt finden oder zurück in die Hölle gespuckt würde.
Blanche, war sein letzter bewusster Gedanke, bevor der Schmerz von Tausenden Seelen auf ihn einschlug und ihn in eine Million Fragmente zerschmetterte. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, doch es kam kein Ton heraus. An diesem Ort besaß er keine Stimme. Hier kamen seine Opfer zu Wort.
13
D
raußen wartete Nella in der Limousine auf sie, doch das Gespräch brannte wie Säure in Blanches Adern, sodass sie an dem wartenden Wagen vorüberging, ohne den Blick zu heben.
Noch vor ein paar Tagen war sie ganz wild auf Informationen über Waynes Vergangenheit gewesen. Mittlerweile hatte sie die Nase voll davon. Jede neue Auskunft über ihren väterlichen Freund vergrößerte die Kluft zwischen ihnen. Zurzeit hatte sie das Gefühl, dass sie ein gigantischer Graben trennte. Natürlich war ihr klar, dass Waynes Geheimniskrämerei ihrem Schutz galt. Dennoch erstickte sie fast an ihrem Ärger und sie konnte ihre Enttäuschung, die mittlerweile in Wut umgeschlagen war, nicht verleugnen. War sie so unwürdig, dass er sie derart rigoros aus seinem Leben ausschließen musste? War es wirklich notwendig gewesen, sie vollkommen aus wichtigen Entscheidungen herauszuhalten – und am Ende sogar fortzuschicken?
Der Gedanke, wie allein er sich gefühlt haben musste, brachte sie beinah um den Verstand. Sie hätte ihm helfen und für ihn da sein sollen. Stattdessen steckte sie in einem Internat fest und spielte Jekyll & Hyde. Tagsüber war sie Blanche Dubuffet, die ungeschliffene Tochter eines stinkreichen Industriellen. Wenn es dunkel wurde, arbeitete sie als Erienne für einen Clubbesitzer namens Marcel Wyss. Ihm gehörten die wenigen Nachtclubs von Lausanne und Umgebung. Außerdem kontrollierte er das Rotlichtviertel in der Nähe des Bahnhofs. Blanche wollte während ihres Exils in Form bleiben, also wurde sie Türsteherin in einem seiner Jetset-Schuppen. Den Job zu ergattern war nicht einfach gewesen, Marcel hatte sie zweimal abblitzen lassen. Erst nachdem sie seinen Bodyguards vor seinen Augen mit wenigen Tritten eine Abreibung verpasst hatte, war sie seine erste Wahl für diese Aufgabe: Eine zarte junge Frau in einem eleganten Abendkleid, die die Gäste seines Nobelclubs begrüßte. Hierbei kam ihr endlich einmal das Leben auf der Straße zugute, das sie deutlich älter als ihre sechzehn Jahre aussehen ließ.
Als Gegenleistung durfte sie den Schießstand benutzen und regelmäßig seine Männer vermöbeln – Training nannte er das. Aber seine Jungs waren derart schlecht in Form, dass sie dreimal die Woche den Boden mit ihnen aufwischte. Zum Glück lernten sie schnell, sonst wäre ihr diese Farce bald langweilig geworden. Doch für ausgewachsene Gewichthebertypen, die sich für harte Kerle hielten, war es kein Vergnügen, regelmäßig von einem Mädchen zusammengeschlagen zu werden.
Nachdem sie von dem Schul-Scheiß die Schnauze voll hatte, verließ sie das Internat und folgte Wyss’ Einladung, der ihr anbot, in seiner Villa am Genfer See zu wohnen. Dort hielt sie sich fit und lehrte seine Männer das Fürchten, während sie auf Nachricht von Wayne wartete. Doch ihr Mentor zog es vor, allein gegen Dämonen zu kämpfen und sie im Unklaren zu lassen.
Warum hatte er diesen Tchort laufen lassen? Hatte er etwa geglaubt, dass Saetan schulterzuckend darüber hinwegsehen würde? Er musste doch gewusst haben, dass das einem Todesurteil gleichkam. Was war in ihn gefahren, seinen letzten Job einfach hinzuschmeißen? Den Schlüssel zu seiner Freiheit wegzuwerfen – und das nach zwanzig Jahren Plackerei.
Zugegeben, die Sache mit der Freiheit war relativ und galt nur für den ersten Pakt, der ihm zu seiner Rache verholfen und in eine nahezu unverwundbare Super-Killermaschine verwandelt hatte. Das zweite Abkommen behandelte seine unsterbliche Seele, die er im Tausch gegen ihre Sicherheit verpfändet hatte. Aber zumindest hätte er nach diesem letzten Auftrag nicht mehr auf Dämonenjagd gehen müssen. Wenn sie danach zusammen fortgegangen wären, hätte er den Rest seines Lebens genießen können, so alt war er schließlich noch nicht.
Blanche biss die Zähne zusammen. Ja, dachte sie. Er hätte noch viele gute Jahre vor sich gehabt, doch was dann? Am Ende seiner Wegstrecke stand Saetan. Er war der Beginn und der Abschluss dieses elenden Teufelskreises, aus dem es für Wayne kein Entkommen gab.
Gedankenverloren ging sie die Avenue de Clichy entlang Richtung Metrostation
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