Jane Christo - Blanche - 01
Hunderte Seelenkontrakte vakant sein – wahrscheinlich Tausende. Kein Wunder, dass Saetan so angepisst war. Erst taucht Tchort unter, dann verweigert Wayne den Dienst und nun stellt sich auch noch Beliar gegen seinen Herrn. Der schickt ihm seine Höllenhunde hinterher, doch was machen die? Anstatt den Kronprinzen bei Saetan abzuliefern, lassen sie Beliar mit einem lauten Knall verpuffen. Damit waren seine Pakte ebenfalls hinfällig, was noch einmal ein paar Tausend Seelen befreite.
Beliar.
Ihr Herz krampfte sich zusammen.
Nicht fühlen!
Gehorsam drückte sie den Schmerz fort und konzentrierte sich auf den Feind vor sich, doch ihre Gedanken drifteten wie von selbst zu Zoeys kleinem Vortrag. Das Ganze fühlte sich falsch an – schräg, wie Apfelkuchen mit Senf. Die einzelnen Zutaten passten nicht zusammen, zumal Beliars Ende eindeutig Saetans Schaden war. Wie Zoey bereits bemerkt hatte, wenn Beliar von der Bildfläche verschwand, waren seine Pakte ebenfalls hinfällig und das konnte kaum im Interesse des Teufels sein. Die Idee, dass die Fürsten eigenmächtig gehandelt und Beliar gegen Saetans Willen ausgelöscht hatten, war reizvoll, aber undurchführbar. Dämonen konnten nicht lügen. Wie sollten sie unter diesen Umständen gegen eine strikte Anweisung verstoßen?
Was zur Hölle war hier los?
„Wie du siehst, kann ich auf den Recaller nicht verzichten“, fuhr Zoey mit heiserer Stimme fort.
Darauf war sie auch schon gekommen, darum würde sie ihm das Teil ganz sicher nicht geben, selbst wenn er vorhatte, sie zu tranchieren und scheibchenweise an den pferdefüßigen Marbueel zu verfüttern. Zoey war auf den Abberufer angewiesen – sie nicht. Zu seinem Pakt gehörte, dass er Tchort fand und zurückbrachte, und das konnte er nur mit der Dämonenwaffe bewerkstelligen. Ohne den Recaller würde Zoeys Abkommen platzen und ihn auf direktem Wege zur Hölle fahren lassen. Wenn sie nicht wüsste, dass diesem sadomasochistischen Arschloch die Qualen gefallen würden, wäre diese Aussicht etwas, worauf sie sich freuen könnte.
„Und jetzt …“ Zoey trat einen Schritt auf sie zu. Anscheinend wollte er noch etwas sagen, doch sie hatte genug von seinem Gelaber.
Sie wollte, dass es aufhörte. Ihre innere Zerrissenheit und die brodelnde Wut, die sie vergiftete und alles Lebendige in ihr verbrannte, bis eines Tages nichts als ein rauchendes Häufchen Asche von ihr übrig wäre.
Am Schlimmsten war der Schmerz, der sie wie Stacheldraht einschnürte und gleichzeitig das Einzige zu sein schien, das sie zusammenhielt. Schmerz über den Verlust der Menschen, die sie einmal liebte. Schmerz über das Wissen, dass sie sich vom Leben zurückgezogen hatte, um Kummer und Trauer zu entgehen. Um nicht mehr fühlen zu müssen, was ihr Leid nur noch verstärkt hatte. Denn ohne Gefühle gab es keine Liebe und ohne Liebe besaß sie nichts, für das es sich zu leben lohnte.
Über die Liebe wusste sie nicht viel. Im Heim hatten die Schwestern durch gezielte Strafaktionen verhindert, dass die Mädchen tiefere Sympathien zueinander fassten. Indem sie Denunzierung belohnten und Spitzel bevorzugten, schufen sie eine Atmosphäre des Misstrauens, das die Schlafsäle verpestete und aufkommende Freundschaften lahmlegte. Ungehorsame Kinder nannten sie böses Blut, bis sie irgendwann selbst glaubten, dass mit ihnen etwas nicht stimmte. Dass sie schlecht waren. Nicht liebenswert.
Andrej hatte Blanche geliebt und sie ihn. Aber was hatte ihnen das gebracht? Er war aus Liebe zu ihr gestorben und mit seinem Tod war etwas in ihr unwiderruflich zerbrochen.
Wayne hatte sie trotz aller Geheimnisse ebenfalls geliebt und versucht, sie zu beschützen. Doch am Ende war sie allein zurückgeblieben in einer Welt, in der Liebe Leiden bedeutete. Denn wenn man einem Menschen erstmal sein Herz öffnete, war man eine offene Wunde, sobald dieser Jemand einen wieder verließ. Mit ihm verschwanden Freude und Wärme und zurück blieb nichts als Leere. Ein Vakuum, gepaart mit einer Eiseskälte, die zehnmal Schlimmer war, als es jede Hölle sein konnte. Vielleicht war das ja auch der Grund dafür, dass ihr Saetan keine Angst einjagen konnte. Sie war einfach schon zu oft durch die Hölle und zurück gegangen, als dass ihr diese Vorstellung feuchte Hände bereiten konnte.
Andrej war fort. Wayne ebenfalls. Und nun auch Beliar.
Beliar.
Vor nicht mal einer Woche waren sie sich zum ersten Mal begegnet, doch in dieser kurzen Zeitspanne hatte er ihr Leben beeinflusst wie kaum
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