Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
genommen und schwört, dass sie um keinen Preis von dort aufstehen werde, wenn man ihr nicht die Erlaubnis gibt, hierherzukommen.«
»Was will sie denn hier?«, fragte Mrs. Eshton.
»Sie will den Herrschaften wahrsagen, sagt sie, Mylady, und sie schwört, dass sie es tun muss und tun wird.«
»Wie sieht sie denn eigentlich aus?«, fragten die beiden Miss Eshton wie aus einem Munde.
»Ein wirklich furchtbar hässliches, altes Geschöpf, Miss; so schwarz wie ein Rabe.«
»Am Ende ist sie wirklich eine Hexe!«, rief Frederick Lynn dazwischen. »Auf jeden Fall müssen wir sie hereinlassen!«
»Allerdings«, fiel ihm sein Bruder in die Rede. »Es wäre doch töricht, wenn man solch eine Gelegenheit, sich zu amüsieren, ungenützt vorübergehen lassen wollte.«
»Was fällt euch denn eigentlich ein, meine lieben Söhne!«, rief Lady Lynn entsetzt aus.
»In meiner Gegenwart dürfen solche ungehörigen Dinge nicht vor sich gehen«, pflichtete die verwitwete Lady Ingram ihr bei.
»O doch, Mama, Sie dürfen es und Sie werden es«, ertönte da Blanche Ingrams hochmütige Stimme, während sie sich vom Piano her der Gesellschaft zuwandte. Bis zu diesemAugenblick hatte sie schweigend dort gesessen und, scheinbar ohne die Unterhaltung zu beachten, in den Noten herumgeblättert. »Ich bin neugierig und möchte mir wahrsagen lassen. Sam, schicken Sie die Zigeunerschönheit also herauf!«
»Aber Blanche, mein Liebling, bedenke doch …«
»Das tue ich. Ich bedenke alles, was zu bedenken ist. Und ich muss meinen Willen haben! Also beeilen Sie sich, Sam, schnell schnell!«
»Ja, ja, ja!«, rief die ganze Jugend, sowohl die Damen wie die Herren. »Sie muss heraufkommen! Das wird ein köstliches Vergnügen werden!«
Der Diener zögerte noch immer. »Sie sieht aber so fürchterlich aus«, sagte er endlich.
»Gehen Sie!«, rief Miss Ingram gebieterisch. Und der Mann ging.
Augenblicklich bemächtigte sich die größte Aufregung der ganzen Gesellschaft. Es entstand ein wahres Kreuzfeuer von Witz, Spott und Scherz. Da kehrte der Diener zögernd und ängstlich zurück.
»Sie will jetzt doch nicht mehr hereinkommen«, sagte er. »Sie sagt, es sei nicht ihre Aufgabe, vor dem Volkshaufen – ja, dieses Wort hat sie gebraucht – zu erscheinen. Ich sollte ihr ein Zimmer weisen, und wenn die Herrschaften sie um die Zukunft befragen wollen, so sollen Sie einzeln zu ihr kommen.«
»Siehst du, meine liebe Blanche, wie anmaßend das Weib wird?«, begann Lady Ingram von Neuem. »Lass dir raten, mein Engelskind, und …«
»Bringen Sie sie in die Bibliothek«, unterbrach das ›Engelskind‹ sie scharf. »Ich brauche sie wirklich nicht vor dem ›Volkshaufen‹ anzuhören, die Person hat ganz recht. Ich will sie für mich allein haben. Brennt ein Feuer im Bibliothekszimmer, Sam?«
»Ja, Ma’am, aber – sie sieht aus wie ein Kesselflicker.«
»Schwatzen Sie nicht, Dummkopf, tun Sie nur, was ich Ihnen befehle.«
Wiederum verschwand Sam, und die Wogen der Erregung und Erwartung gingen hoch.
»Jetzt ist sie bereit«, sagte der Diener, als er zurückkam. »Sie möchte wissen, wer sie zuerst befragen wird.«
»Ich glaube, es wird besser sein, wenn ich sie mir ansehe, bevor eine der Damen zu ihr geht«, sagte Colonel Dent.
»Sagen Sie ihr also, Sam, dass ein Herr kommen wird.«
Sam ging und kehrte gleich zurück.
»Sir, sie sagt, dass sie mit den Herren nichts zu tun haben will; sie bräuchten sich gar nicht erst zu bemühen, zu ihr zu kommen. Und auch …«, fügte er zögernd hinzu, mit Mühe ein Kichern unterdrückend, »… von den Damen soll nur kommen, wer jung, schön und unverheiratet ist.«
»Beim Jupiter, die hat Geschmack!«, rief Henry Lynn laut lachend aus.
Mit großer Feierlichkeit erhob sich Miss Ingram. »Ich gehe zuerst«, sagte sie in einem Ton, welcher für den Anführer eines verlorenen Postens gepasst haben würde, der als Vorhut des Regiments eine Bresche in der feindlichen Festung erklimmt.
»Oh, meine Beste, mein teuerstes, liebstes Kind, halt ein, bedenke, was tust!«, rief ihre zärtliche Mutter aus. Aber in stolzem Schweigen rauschte Blanche an ihr vorbei und ging durch die Tür, welche Colonel Dent für sie offenhielt. Gleich darauf hörten wir, wie sie ins Bibliothekszimmer trat.
Jetzt kehrte eine verhältnismäßige Ruhe ein. Lady Ingram hielt es für passend und angebracht, die Hände zu ringen, und sie tat dies in ausgiebigstem Maße. Miss Mary erklärte, dass sie ihrerseits niemals den Mut zu so
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