Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
Vom Netzwerk:
›Dass ich aus meinen herrlichsten Träumen erwachte und sie alle eitel und trügerisch fand – das ist etwas Entsetzliches, das ich jedoch noch ertragen und überwinden könnte. Dass ich ihn aber bestimmt, augenblicklich und für immer verlassen muss – das ist unerträglich, und ich vermag es nicht!‹
    Aber dann versicherte mir eine innere Stimme, dass ich es doch könne, und prophezeite zugleich, dass ich es auch tun würde. Ich kämpfte mit meinem eigenen Entschluss; ich wollte schwach sein, um den Pfad künftigen Leidens, den ich so deutlich vor mir sah, zu vermeiden. Aber mein Gewissen, zum Tyrannen geworden, packte die Leidenschaft an der Kehle und sagte ihr höhnisch, dass sie bis jetzt nur mit einem Fuße den Schlamm leicht berührt habe, und schwor, dass es sie mit seinem eisernen Arm noch in die unergründlichsten Tiefen des Leides schleudern würde.
    ›So lasst mich fortgerissen werden!‹, weinte ich. ›Lasst mir jemanden dabei helfen!‹
    ›Nein, du selbst musst dich losreißen, niemand darf dir helfen. Du selbst sollst dein rechtes Auge ausreißen, du selbst deine rechte Hand abhauen. Dein Herz soll das Opfer sein und du selbst die Priesterin, die es darbringt.‹
    Plötzlich sprang ich auf, vor Entsetzen fast gelähmt über die Einsamkeit, in der nur dieser erbarmungslose Richter sprach – über die Stille, durch welche nur eine so furchtbare Stimme tönte. Es schwindelte mir, als ich so dastand. Ich merkte, dass ich vor Aufregung und Erschöpfung krank wurde. Weder Essen noch Trinken war an diesem Tag über meine Lippen gekommen, denn ich hatte nicht einmal gefrühstückt. Und mit einem seltsam stechenden Schmerz fiel mir jetzt auf, dass niemand auch nur angefragt hatte, wie es mir gehen würde, dass keine menschliche Stimme mich aufgefordert hatte, nach unten zu kommen. Nicht einmal die kleine Adèle hatte an die Tür geklopft, auch Mrs. Fairfax hatte mich nicht aufgesucht.
    »Freunde verlassen stets jene, die vom Glück verlassen werden«, murmelte ich, als ich den Riegel zurückschob und hinausging. Ich strauchelte über ein Hindernis, mein Kopf war noch schwindlig, mein Blick war getrübt und meine Glieder schwach. Ich konnte mich nur langsam erholen. Dann fiel ich, aber nicht zu Boden, denn ein ausgestreckter Arm fing mich auf. Ich blickte empor – Mr. Rochester stützte mich! Er hatte in einem Lehnstuhl vor der Schwelle meines Zimmers gewacht.
    »Endlich kommst du heraus«, sagte er. »Ich habe schon so lange auf dich gewartet und gelauscht, aber ich vernahm kein Geräusch, keine Bewegung, kein Schluchzen. Noch weitere fünf Minuten jener todesähnlichen Stille, und ich hätte die Tür aufgebrochen wie ein Räuber. Du willst mir also ausweichen? Du schließt dich ein und trauerst allein? Ich hätte es leichter ertragen, wenn du gekommen wärst, um mir heftigste Vorwürfe zu machen. Du bist leidenschaftlich: Ich erwartete irgendeine Szene von dir. Ich warauf heiße Tränenfluten vorbereitet, nur wollte ich, dass du sie an meinem Herzen vergießen solltest. Jetzt hat ein empfindungsloser Teppich sie aufgesogen oder dein durchnässtes Taschentuch. Aber nein, ich irre! Du hast gar nicht geweint! Ich sehe eine bleiche Wange und ein mattes Auge – aber keine Tränenspur. So vermute ich, dass dein Herz blutige Tränen geweint hat?
    Nun, Jane? Kein Wort des Vorwurfs? Keine Bitterkeit, keine verletzende Silbe? Kein Ausbruch der Leidenschaft, keine Kränkung? Du sitzt ruhig dort, wohin ich dich gesetzt habe, und siehst mich mit müden, leidenden Augen an?
    O Jane, ich habe dich niemals so verwunden wollen. Wenn der Mann, der nur ein einziges kleines Lämmchen besaß, das seinem Herzen teuer war wie sein Kind, das von seinem Brote aß und aus seinem Becher trank, das an seinem Herzen ruhte – wenn der Mann dieses Lämmchen durch irgendeinen Irrtum auf der Schlachtbank getötet hätte: Er könnte sein blutiges Vergehen nicht mehr bereuen als ich jetzt das meine. Kannst du mir jemals verzeihen?«
    Mein Leser! Ich vergab ihm schon in demselben Augenblick. In seinen Augen sah ich so tiefe Reue, hörte so wahres, echtes Leid in seiner Stimme, fand so viel männliche Energie in seiner Art und Weise. Und außerdem verrieten seine Blicke und seine Miene so viel unveränderte Liebe: Ich vergab ihm alles! Doch nicht in Worten, nicht äußerlich – nur in der innersten Tiefe meines Herzens.
    »Du weißt, dass ich ein Schurke bin, Jane?«, fragte er nach einer Weile traurig. Er war wohl verwundert über

Weitere Kostenlose Bücher