Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
Erinnerung und meiner Liebe zu verhindern, gibt es nur einen Ausweg: Adèle muss eine andere Gouvernante haben.«
»Oh, Adèle wird in eine Schule geschickt, das habe ich bereits beschlossen. Und ebenso wenig ist es meine Absicht, dich mit den grauenhaften Erinnerungen von Thornfield Hall zu peinigen – diesem verfluchten Orte diesem Zelt des Achan, dieser anmaßenden Gruft, die dem hellen, himmlischen Tageslicht das Grauen eines lebenden Todes vorzuführen wagt; dieser engen Steinhölle mit ihrem eigenen lebenden Teufel, der schlimmer ist als eine Legion solcher, die unsere Phantasie uns ausmalt. Jane, du sollst nicht hierbleiben, und ebenso wenig will ich hierbleiben. Es war falsch von mir, dich überhaupt jemals nach Thornfield Hall zu bringen, da ich doch wusste, welch fürchterliches Gespenst hier umgeht. Lange bevor ich dich gesehen hatte, befahl ich jedem hier im Haus, sorgfältig den Fluch desselben vor dir zu verbergen, einfach, weil ich fürchtete, dass niemals eine Gouvernante bei Adèle bleiben würde, wenn sie wüsste, mit wem sie unter einem Dach lebte. Aber meine Pläne haben mir nicht erlaubt, jene Wahnsinnige an einen anderen Ort zu bringen, obgleich ich ein altes Haus besitze, wo ich sie sicher genug hätte verbergen können: Ferndean Manor, das noch versteckter und abgelegener liegt als dieses Haus. Skrupel über das Ungesunde des Ortes, der mitten im dichten Wald liegt, ließen mein Gewissen vor solchen Maßregeln zurückschrecken. Wahrscheinlich hätten jenefeuchten Mauern mich bald von jener entsetzlichen Last befreit, aber jedem Verbrecher seine eigene Verbrechensart! Ich tauge nicht zu indirektem Mord, nicht einmal an dem, was ich am meisten hasse.
Dir die Nähe jener Wahnsinnigen zu verheimlichen war indessen geradeso klug, als deckte man ein Kind mit einem Mantel zu und legte es neben einen giftigen Upasbaum. Die Nähe dieses Dämons ist vergiftet und war es immer. Aber ich werde Thornfield Hall verlassen, es verschließen, ich werde die große Einfahrt vernageln und die unteren Fenster vermauern lassen. Ich werde Mrs. Poole zweihundert Pfund im Jahr geben, um hier mit meiner Gat
tin
zu leben, wie du jene grauenvolle Hexe nennst. Für Geld tut Grace gar viel, und sie soll ihren Sohn, der Wärter in der Irrenanstalt von Grimsby ist, auch herkommen lassen, dass er ihr Gesellschaft leisten und zur Hand sein kann – ihr beistehen, wenn
meine Gattin
ihre Zustände bekommt und ihr böser Geist sie treibt, die Menschen nachts in ihren Betten zu verbrennen, sie zu erdolchen, ihnen mit ihren Zähnen das Fleisch von den Knochen zu reißen und dergleichen …«
»Sir«, unterbrach ich ihn, »Sie sind unerbittlich in Bezug auf jene unglückliche Frau. Sie sprechen mit Hass von ihr, mit rachsüchtiger Antipathie. Das ist grausam – sie kann doch nichts dafür, dass sie wahnsinnig ist.«
»Jane, mein kleiner Liebling – so nenne ich dich, denn das bleibst du für mich –, du weißt nicht, was du sprichst; du beurteilst mich schon wieder falsch. Ich hasse sie nicht, weil sie wahnsinnig ist. Glaubst du, ich würde dich hassen, wenn du wahnsinnig wärst?«
»Das glaube ich in der Tat, Sir.«
»Dann irrst du dich und weißt gar nichts von mir, dann begreifst du jene Liebe nicht, zu der ich fähig bin. Jedes Atom deines Körpers ist mir so lieb wie mein eigenes Leben, und in Schmerzen und Krankheit würde es mir ebenso teuer bleiben. Dein Geist ist mein Schatz – und wenn er zerstörtwürde, so bliebe er dennoch mein Kleinod. Wenn du tobtest, würden meine Arme dich umschlingen und fesseln – nicht eine Zwangsjacke. Deine Berührung selbst in der Tobsucht würde mir noch eine Wonne sein. Wenn du dich auf mich stürztest, so wild wie dieses Weib es heute Morgen tat, so würde ich dich umfangen, ich würde dich durch Zärtlichkeit zu bändigen suchen. Ich würde mich nicht mit Ekel von dir abwenden wie von jenem Weib. In deinen ruhigen Zeiten solltest du keinen anderen Wärter haben als mich; ich würde dich mit unermüdlicher Zärtlichkeit pflegen, wenn du es mir auch nicht mit einem einzigen Lächeln danktest. Ich würde niemals müde werden, in deine Augen zu blicken, wenn mir auch kein Strahl des Erkennens mehr aus ihnen entgegenleuchtete. – Aber weshalb verfolge ich diesen Gedankengang? Ich sprach ja davon, dich von Thornfield fortbringen zu wollen. Du weißt, alles ist für eine schnelle Abreise vorbereitet. Morgen sollst du fort von hier. Ich bitte dich nur, Jane, halte noch eine einzige
Weitere Kostenlose Bücher