Jane True 02 - Meeresblitzen
und manchmal anscheinend per Zufall. Das Bild war riesig und nahm die gesamte Wand ein, und mir gefiel, dass es eine Art künstlerisch wertvolle Variante von Klolektüre war.
Als ich im Bad fertig war, ging ich wieder zurück in die Küche. Dort grübelte ich gerade darüber, wie um alles in der Welt die winzige Nell all die riesigen Geräte bedienen konnte, als Anyan mir von der Veranda zurief, dass er und die Zwergin bereit seien.
Misstrauisch ging ich hinaus, voller Argwohn, Nell könnte mir eine ihrer beliebten Fallen stellen und mich hinterrücks mit ihren kleinen Magiekugeln angreifen. Doch sie zeigte sich von ihrer besten Seite, saß in ihrem kleinen Schaukelstuhl im Kegel des Verandalichts und unterhielt sich mit Anyan und Trill, während die letzten Reste der Abenddämmerung noch den schwarzen Nachthimmel durchzogen.
Als sie zu Ende geplaudert hatten, machten wir uns an die Arbeit. Und genau wie an den drei Tagen zuvor misslang mir wieder alles. Ich sah das, was ich tun wollte, zwar im Geiste vor mir, aber ich konnte es einfach nicht umsetzen. Ich versuchte mich unsichtbar zu machen, was die häufigste Art der Auraanwendung war. Dabei ging es nicht darum, tatsächlich unsichtbar zu werden, sondern ich musste mich vielmehr … »unbemerkbar« machen. Aber ganz gleich, wie oft ich es versuchte, ich blieb vollkommen bemerkbar, total sichtbar und wurde zunehmend ungehaltener.
»Mist! Mist, Mist, Mist!«, schimpfte ich schließlich, als ich wieder einmal spürte, dass die kleine Kraftblase, die ich in mir aufgebaut hatte, nur ein kleines Funkeln um mich herum bewirkte.
Nell seufzte. Sogar sie sah mittlerweile etwas angespannt aus. Die verdammte Zwergin trug sonst eigentlich ein unerschütterliches Lächeln im Gesicht, weshalb mir durchaus bewusst war, wie ungeschickt ich mich in der Sache mit der Aura anstellen musste, wenn sie die Geduld verlor.
Sie sah so aus, als würde sie mich gleich herunterputzen, als Anyan sich einmischte.
»Nell, dürfte ich?«
Die Zwergin nickte mit einem Blick, der ganz klar sagte: »Na dann, viel Glück, Trottel.«
»Setz dich hin, Jane«, sagte der große Hund. Also ließ ich mich im Schneidersitz nieder und war froh, mich ein wenig ausruhen zu können. Ich stand jetzt schon über eine Stunde herum, ohne auch nur den Ansatz einer Aura erschaffen zu haben.
Anyan kam zu mir und setzte sich neben mir auf die Hinterläufe, so nah, dass seine Pfoten meine Schienbeine berührten. Er richtete seinen intensiven Blick aus ausdrucksstarken grauen Augen auf mich, und ich starrte ihn wie gebannt an.
»Du konzentrierst dich zu sehr darauf, was du sehen möchtest. Aber hier geht es nicht ums Sehen, sondern um Wahrnehmung.«
Ich schob die Brauen zusammen, so dass sich eine steile Falte über meiner Nase bildete, doch bevor ich protestieren und erklären konnte, dass ich keinen Schimmer hatte, was er damit meinte, wies er mich an, die Augen zu schließen.
»… und halt sie geschlossen. Versuch gar nicht erst etwas zu sehen; denk nicht einmal ans Sehen. Öffne dich einfach, und versuch mich zu spüren. Mich und was ich mache.«
Also versuchte ich es, und ich spürte wirklich etwas. Anyans starke magische Kraft zog mich an, und ich konnte fühlen, was er tat. Mit geschlossenen Augenlidern war mein reflexartiges Vertrauen auf das Visuelle aufgehoben, und plötzlich ergab alles einen Sinn. Seine Magie erschuf keine Bilder, und ich versuchte nicht mehr, irgendeine Chamäleontechnik wie in dem Film Predator oder die verschwommene Silhouette von Kevin Bacon in Hollow Man zu imitieren, beides Filmbilder, die ich einfach nicht aus dem Kopf bekam, wenn ich mich bemühte, unsichtbar zu werden. Anyan versuchte überhaupt nicht wie irgendetwas auszusehen, stattdessen lenkte er bloß das Interesse von sich weg. Er errichtete eine Art Barriere wie einen Schutzschild, nur das es nicht der Verteidigung vor irgendwelchen Waffen galt. Stattdessen strahlte es einen entspannten Hauch von vagem Nichts aus.
Ich veränderte meine Kraft und versuchte, seine zu imitieren. Das war nicht so leicht, denn zu wissen, wie etwas geht, ist noch lange nicht das Gleiche, wie es zu tun. Aber schließlich fühlte ich es. Ich spürte, wie eine Kraft sich um mich legte und ganz beiläufig auf meinem Status als Nichts beharrte. Langsam öffnete ich die Augen und sah, dass der Barghest mich noch immer beobachtete. Er lächelte mit aus dem Maul hängender Zunge. Ich erwiderte sein Lächeln, und mein Herz war erfüllt von
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