Jane True 02 - Meeresblitzen
einem bockigen Grummeln gehorchte er.
Wir drangen durch die explodierte Tür weiter ins Gebäude vor, in die dahinterliegenden Bereiche des Labors. Dort, wo sich die Türrahmen befunden hatten, erwarteten uns dicke Stalaktiten aus geschmolzenem Stahl. Die daraus resultierenden Formen à la Dalí zeugten nicht nur von Conleths enormer Kraft, sondern auch davon, dass dieses Labor ein wahres Gefängnis gewesen sein musste. Als wir weiter
in den hinteren Bereich der Anlage vordrangen, nahmen die Schäden zu, genauso wie laut der Akte die Zahl der Leichen. Die vorderen Räume waren offenbar noch weitgehend frei von Toten gewesen, abgesehen vom Schwesternzimmer, das aufgebrochen worden war. Auf dem Foto, das Ryu mir gezeigt hatte, hatten die beiden »Krankenschwestern«, die in diesem Raum umgekommen waren, eher wie die Art von Türstehern ausgesehen, die sogar für einen Job in einer Bikerbar zu brutal wären. Auf dem »Nachher-Bild« waren beide dann geröstet wie heiße Maroni.
Auf den obersten beiden Ebenen des Gebäudekomplexes hatte das Feuer beinahe alles bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Das Dach fehlte komplett, die Wände bröckelten, und alles war schwarz von Ruß. Der Geruch war abscheulich: Asche und Rauch vermischt mit dem Gestank von Zerfall und Verwesung. Ich bemühte mich, durch den Mund zu atmen.
Die Mehrheit der Menschen, die in jener Nacht getötet wurden, war in diesen letzten paar Räumen gestorben. An dem Abend, als Conleth entkam, hatten zwei »Mediziner« Dienst, obwohl ich mich fragte, welcher Arzt sich an einem solchen Experiment beteiligen würde. Beide hatten dank ihres Versuchskaninchens den Löffel abgegeben. Neben den beiden Schwestern, die in ihrem Pausenraum ermordet wurden, starben noch zwei weitere direkt vor dem Raum, in dem Conleth festgehalten worden war. Wie die anderen zwei Krankenschwestern waren auch diese beiden massig und unansehnlich und mit Sicherheit keine Menschen, denen ich die Aufgabe anvertrauen würde, Katheter oder Infusionen zu legen.
»Conleths Motiv für die Morde an seinen Krankenschwestern und Ärzten ist klar; sie waren seine Wärter, seine Peiniger, seine Feinde. Und anhand der Fundorte der Leichen – die Wissenschaftler verschanzt im Klo, die Schwestern in ihrem Pausenraum – lässt sich sagen, dass er mit einer klaren Tötungsabsicht hinter ihnen her war. Das Gleiche gilt wohl auch für die Morde an dem Hausmeister und dem Parkwächter.«
Ich starrte auf die Fotos in Ryus Hand. Ich konnte verstehen, dass Conleth sich den Weg aus seinem Gefängnis freigesprengt hatte. Sogar seinen Wunsch nach Vergeltung konnte ich verstehen. Ich hatte keine Träne vergossen, als Ryu mir erzählte, dass er Jimmu getötet hatte, der so viele auf dem Gewissen hatte und gern auch noch für Ryus und meinen Tod verantwortlich gewesen wäre, wenn er die Gelegenheit dazu bekommen hätte. Aber Rachegelüste, die so stark waren, dass sie Conleth dazu trieben, sogar jemanden zu töten, der sich versteckte, der nur schwer zu erwischen war, ungeachtet der Tatsache, dass er sich selbst noch nicht befreit hatte … das wollte mir nicht in den Kopf.
Wir traten durch eine letzte zerstörte Tür. Sie befand sich am hintersten Ende des Komplexes, dort wo, so nahmen Ryu und die anderen an, Conleth gefangen gehalten worden war. Aber dort war es so rußig, dass ich nichts von dem Raum erkennen konnte. Alles, was sich mir dort offenbarte, war ein weiterer Beweis für Conleths Stärke und Wut.
»Wir finden die Leute immer zu spät. Sie geraten erst in den Fokus der Ermittlungen, wenn sie schon tot sind. Und dann sind sie natürlich für Befragungen nicht von Nutzen. Es gelingt uns einfach nicht, dieses Labor in einen größeren
Zusammenhang zu bringen, obwohl es natürlich irgendwer finanziert haben muss. Aber es ist, als hätte es diesen Ort überhaupt nicht gegeben. Verdammt, ich würde selbst an seiner Existenz zweifeln, wenn wir nicht gerade mittendrin stehen würden.«
»Habt ihr denn überhaupt keine Anhaltspunkte?«, fragte ich.
Ryu grunzte. »Wir haben nur eine richtige Spur. Es hat einen wissenschaftlichen Leiter gegeben, Dr. Silver, der alle Rechnungen abzeichnete und auch schon die Verantwortung trug, als es in der Klinik noch mit rechten Dingen zuging. Vor zwei Jahren ist er entlassen worden, allerdings sind die Gründe dafür nicht bekannt. Glücklicherweise war Silver auf Reisen, als es zu den Übergriffen kam. Er muss die Bedrohung erkannt haben und in Deckung gegangen sein.
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