Jane True 02 - Meeresblitzen
nicht. Aber sogar aus der Entfernung fühlte ich mich wie der kleine holländische Junge aus der berühmten Geschichte, der mit dem Finger ein Leck im Deich stopft. Die Kräfte, die hinter ihrem sonst so gelassenen Gesichtausdruck tosten, schrien nach totaler Vernichtung. Nichts Geringeres wäre genug. Und all dieser Zorn zielte auf den Barghest.
Anyan jedoch gähnte bloß gelangweilt und streckte gleichgültig seine Gliedmaßen.
Die Harpyien waren nirgends zu sehen. Ich blickte nach oben, in der Erwartung, sie mit ausgefahrenen Krallen über mir kreisen zu sehen. Wenigstens war der Verbleib des Spriggan und des Vergewaltigerelben klar. Ersterer stand vor dem Escalade und überragte das riesige Gefährt mit seiner knubbeligen grauen Körpermasse. Und Graeme fixierte ebenfalls Anyan. Aber er wirkte aufgewühlt und mehr als nur ein bisschen nervös.
»Anyan Barghest. Verrat mir, was du hier machst«, befahl Phädra. Anyan schenkte ihr keine Beachtung und griff in die Innentasche seiner Lederjacke. Die Alfar spannte ihre Muskeln an, aber Anyan zog bloß einen Kaugummi hervor. Er packte ihn genüsslich aus, bevor er ihn sich in den Mund schob. Phädra fauchte.
»Was machst du denn hier, Phädra?«, mischte Ryu sich ein und trat ein paar Schritte vor. Sofort rückten Daoud und Caleb nach, um mich zu flankieren.
Die Alfar musste sich sichtlich beherrschen. »Wir arbeiten zusammen, oder nicht?«, fragte sie, und ihre kindliche
Stimme bewegte sich dabei auf einer dünnen Linie zwischen rhetorisch und kratzbürstig.
»Ich kann diese Ermittlung allein führen, Alfar«, zischte Ryu. Phädra steckte ihr Messer ein und stellte sich ihm energisch entgegen. Wieder überraschte es mich, wie klein sie war. Anders als ich selbst war sie allerdings von einer furchteinflößenden Winzigkeit: die Winzigkeit von giftigen Spinnen, Plastiksprengstoff oder den Olsen-Zwillingen.
»Ach ja, kannst du das, Baobhan Sith? Du hast es ja nicht einmal geschafft, uns abzuschütteln. Wir sind euren ›Erkenntnissen‹ auf der Spur, trotz eurer Bemühungen, sie vor uns geheim zu halten. Und wir konnten uns ja bereits von deinem früheren Versagen überzeugen. Die Opferzahlen, die auf dein Konto zurückgehen, sind wirklich alarmierend.« Phädras gespenstisch rote Augen starrten Ryu an. Ihr kahler Kopf glänzte im weichen Licht der Straßenlaternen.
Ich nahm eine Bewegung auf dem Dach des Geländewagens wahr und zuckte zusammen, als ich bemerkte, dass die beiden Harpyien dort zusammengedrängt kauerten. Ihre graubraunen Schwingen waren um ihre Füße gefaltet, und ihre Köpfe tauchten darunter wie unheimliche, weiße Kugeln auf.
»Unsere Vorsichtsmaßnahmen sind reine Routine«, erwiderte Ryu auf die Unterstellungen der Alfar. »Ich habe nicht versucht, dich und deine Leute abzuschütteln.«
Phädra sah nicht so aus, als würde sie ihm glauben. Zugegebenermaßen ging es mir da ähnlich wie ihr.
»Nun«, sagte die Alfar, und ein frostiges Lächeln spaltete ihr kleines Gesicht, »jetzt wo wir nun mal schon alle hier
sind, lasst uns mit den Plänen für den heutigen Abend beginnen. Was hast du jetzt vor, Ermittler. Willst du die Leiche von einem weiteren Menschen einsammeln, den du nicht beschützen konntest?«
Ryu biss die Zähne zusammen, und ich legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Rücken. Wir standen hinter ihm, und wir glaubten fest an ihn.
Phädra lachte, ein unangenehmes, höhnisches Lachen. »Was auch immer du jetzt vorhast, du wirst Graeme und Fugwat mitnehmen. Sie werden dich heute Nacht unterstützen und mir dann von euren Fortschritten berichten.«
Ryu sah so aus, als wolle er protestieren, aber Phädra brachte ihn mit einem einschüchternden kleinen Feuerwerk zum Schweigen. Funken von Energie entluden sich aus ihrer Hand und tauchten ihr bösartiges kleines Gesicht in ein fahles, blaues Licht.
»Ich bin von höherem Rang als du, Baobhan Sith. Wag es nicht, meine Autorität infrage zu stellen, oder ich bezichtige dich der Gehorsamsverweigerung und entziehe dir zwangsweise diesen Fall. Und dann wird es allein von Rechts wegen mein Fall«, zischte Phädra und wollte damit wohl unser aller Protest herausfordern. Als wir jedoch schwiegen, seufzte sie voll Genugtuung.
»Graeme, Fugwat, ihr wisst, was zu tun ist.«
Phädra ging zurück zu ihrem Escalade, und wir sahen zu, wie sie die Tür öffnete und den hohen Fahrersitz erklomm. Sie musste ein paar Schritte zurücktreten und dann mit Hilfe der Armlehne hineinspringen. Das sah
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