Jane True 02 - Meeresblitzen
hatte gehofft, Con habe seine Favoriten ganz nach oben gelegt. Oder sie zumindest gekennzeichnet. Aber das wäre natürlich zu einfach gewesen.
Trotzdem sahen manche Seiten zerlesener aus als andere. Dummerweise schienen die abgegriffensten diejenigen zu sein, in denen ich über mein Leben zu Hause und den Gesundheitszustand meines Vaters geschrieben hatte. Diese E-Mails waren ein Beweis meiner Liebe für meine Familie, und Cons Interesse an eben diesen E-Mails war ein Hinweis darauf, zumindest für mich, wie verzweifelt er darüber war, dass ihm selbst eine solche Liebe fehlte.
Ich blätterte weiter, versuchte noch mehr Hinweise zu finden und blickte nur hin und wieder auf, wenn einer von Ryus Leuten etwas fand, das ihm von Interesse schien. Ich war so abgelenkt, als Daoud – und natürlich war es Daoud – Cons Pornoversteck aufstöberte, dass ich beinahe den Notizzettel übersehen hätte, der zwischen den restlichen größeren Blättern mit meinen E-Mails steckte.
Es handelte sich um eine handschriftliche Notiz, die einfach nur lautete:
Felicia Wethersby
Sie wusste es
Die Schrift war groß, geschwungen und wirkte altmodisch. Es handelte sich definitiv nicht um Cons verkrampfte, nur aus Großbuchstaben bestehende Druckschrift, die mir aus den Akten mittlerweile so vertraut war.
»Ryu! Anyan!«, rief ich und schreckte aus meiner Versunkenheit hoch, als mir klarwurde, dass ich, anders als Daouds Fund von Heiße Hausfrauen , womöglich wirklich etwas entdeckt hatte.
Ich hielt den Notizzettel hoch, den Anyan mir abnahm,
während Ryu mir auf die Beine half. Die beiden Männer betrachteten ihn gemeinsam.
»Das ist nicht seine Schrift«, bemerkte Ryu, und ich schüttelte zustimmend den Kopf.
»Definitiv nicht seine Schrift…«
»Wer ist Felicia Wethersby?«, fragte Anyan.
»Keine Ahnung. Julian!«, bellte Ryu, und eine Sekunde später spähte der hagere Halbling auf den Zettel.
»Bin dran, Chef«, murmelte er und eilte zu seinem Rucksack, in dem sich sein Laptop befand. Damit setzte er sich auf den schäbigen Gartenstuhl.
»Wer zur Hölle hat diesen Zettel geschrieben?«, fragte ich.
»Keine Ahnung«, erwiderte Ryu. »Setz es auf die lange Liste der Dinge, die wir noch herausfinden müssen.«
Ich schüttelte ratlos den Kopf und starrte finster auf den Zettel. Wie konnte etwas so Nützliches gleichzeitig so verwirrend sein?
Ein paar Minuten später präsentierte Julian uns die Antwort. »Ich glaube, ich habe sie. Es gibt eine Felicia Wethersby bei LinkedIn. Sie arbeitet als persönliche Assistentin in einer Privatklinik, die von Dr. B. L. Donovan geführt wird. Und wir haben eine Adresse.«
Ryu klatschte mich freudig ab, zog mich dann an sich und küsste mich.
»Hab dir doch gesagt, dass ich ganz nützlich sein kann«, murmelte ich ihm, ziemlich zufrieden mit mir selbst und meinem Fund, ins Ohr.
»Daran hätte ich nie zweifeln sollen«, antwortete er.
Ganz genau , Vampir , dachte ich. Als ich mich umdrehte,
fiel mein Blick auf Anyan, der uns stirnrunzelnd ansah. Ich wurde knallrot, zog den Kopf ein und ging schnell zu Julian hinüber, der noch immer aufmerksam auf den Bildschirm seines Laptops starrte.
Aber wirklich schade, dass du es getan hast .
Auf der Straße erwarteten uns Phädra und ihre Schergen. Ich verstaute die Mappe mit dem geheimen Zettel in meiner Jacke, in der Hoffnung, die Alfar würde sie nicht sehen. Erstens wollte ich nicht, dass sie meine E-Mails an Ryu las, und außerdem wollte ich verhindern, dass sie von der Notiz erfuhr. Es sah schon nach ein bisschen zu viel Zufall aus, dass Jarl so viel Interesse an einer Sache zeigte, die ihn gar nicht direkt betraf. Dass wir nun eine Notiz gefunden hatten, die darauf hinwies, dass Conleth vielleicht bloß ein Opfer war, machte die Sache noch bedenklicher.
Vor einem riesigen Cadillac Escalade stand die kleine Alfar und polierte so beiläufig eines ihrer Messer, als würde sie sich die Nägel feilen. Ihr ganz in schwarzes Leder gehüllter winziger Körper schluckte das Licht der Straße, und zum allerersten Mal fiel mir auf, dass ihre Augen rot waren. Nicht rot wie blutunterlaufen – sondern wirklich rot. Ihre Pupillen hatten die Farbe von getrocknetem Blut.
Sie unterbrach ihren kleinen Einschüchterungsversuch, als sie unseren neuen Begleiter entdeckte. Noch nie hatte ich
eine Alfar wütend gesehen, bis ich sah, wie Phädra Anyan anstarrte. Natürlich war es, weil sie nun mal eine Alfar war, keine normale Wut. Sie tobte und kochte
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