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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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nicht, was es sie angeht. Am Preis des Zuckers kann es auf alle Fälle nicht liegen: Anders als in Europa, wo Zucker, Kaffee, Kakao, Tabak und andere Waren aus fernen Ländern viel kosten, ist Zucker in Brasilien ein sehr preiswertes Produkt. Es wächst so viel Zuckerrohr in diesem Land, dass man es sogar den Schweinen zu fressen gibt.
    Dann nehme ich mir eine der Brotscheiben, bestreiche sie mit Butter und esse sie in Sekundenschnelle auf. » Sie hätten nicht zufällig noch etwas Marmelade? « , frage ich meine Zimmerwirtin mit vollem Mund.
    Sie zieht ein Gesicht, als wolle sie mir sagen: Mit vollem Mund spricht man nicht. Aber sie kann sich gerade noch beherrschen, schließlich geht meine Erziehung sie nichts an. Stattdessen zuckt sie die Achseln und stellt klar: » Das ist aber nicht im Preis inbegriffen. «
    Dann eben nicht. Da Marmelade aus Früchten und Zucker hergestellt wird– das weiß ich, weil ich unserer Köchin oft genug dabei zugesehen habe– und tropische Früchte ungefähr genauso billig sind wie Zucker, verstehe ich das nicht ganz. Mangos, Guaven, Papayas und Bananen wachsen hier im Überfluss, vor fast jeder Sklavenhütte steht ein Obstbaum oder eine Bananenstaude. Im Hochsommer muss man aufpassen, dass einem die reifen Mangos nicht auf den Kopf fallen.
    Â» Schade « , sage ich. » Aber dürfte ich vielleicht einen Blick in die Zeitung werfen? « Ich sehe Dona Eufrásia an, dass auch das nicht im Preis inbegriffen ist, und ergänze schnell: » Natürlich erst, wenn Sie sie gelesen haben. Und nur den Teil mit den Stellenanzeigen. «
    Sie zögert, man kann es förmlich in ihrem Kopf arbeiten sehen. Sie will nicht als allzu schlimmer Geizkragen dastehen, und jemandem eine bereits gelesene Zeitung zu berechnen, wäre ziemlich dreist. Schließlich gibt sie sich einen Ruck. » Na schön. Aber lesen Sie sie bitte erst, wenn sie mit dem Essen fertig sind. Sonst kommen noch Fettflecken drauf. «
    Â» Allerherzlichsten Dank, werte Dona Eufrásia « , murmele ich mit spöttisch gerunzelten Augenbrauen und widme mich der zweiten Scheibe Brot.
    Die Zeitung, die ich zufällig auf dem Sofa entdeckt habe, macht mir zu schaffen. Es gibt nicht viele Senhoras, die eine Zeitung abonniert haben. Modezeitschriften, ja, oder auch Magazine mit hauswirtschaftlichem Inhalt, aber doch keine normale Tageszeitung. Was, wenn ich gesucht werde? Was, wenn man ein Bild von mir veröffentlicht und Dona Eufrásia es sieht? Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass sie mich der Polizei ausliefern würde. Oder ihr merkwürdiger Sohn würde es tun. Wo steckt der überhaupt?
    Nach meinem kümmerlichen Frühstück gehe ich wieder auf mein Zimmer, die Zeitung unter den Arm geklemmt. Die Stellenanzeigen sind mir vollkommen gleichgültig, ich habe nämlich nicht vor, mir eine Arbeit zu suchen. Alles, was mich interessiert, sind Artikel oder Annoncen, in denen nach mir gesucht wird. Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, dass bereits etwas in dem Blatt stehen sollte, denn es ist erst Montag, dennoch schlägt mein Herz bis zum Hals, als ich Seite um Seite durchblättere.
    Ich zucke zusammen, als es an der Tür klopft.
    Â» Herein « , sage ich, denn ich habe nicht abgeschlossen.
    Es ist die alte Sklavin Vovó. Sie bringt mir ein frisches Handtuch und will den Nachttopf leeren. Ich habe aber gar nicht hineingemacht, weil ich ja seit gestern Nachmittag durchgeschlafen habe und heute Morgen gleich auf den Abort hinterm Haus gegangen bin. Ich finde es ekelhaft, die ganze Nacht hindurch einen Topf voller Urin unter meinem Bett stehen zu haben. Zu Hause haben wir moderne Wasserklosetts.
    Beim Gedanken an mein Elternhaus schießen mir Tränen in die Augen. Wäre die Sklavin nicht immer noch in meiner Kammer, würde ich mich jetzt wahrscheinlich heulend aufs Bett werfen und mich selbst bemitleiden. Ich schlucke meinen Kummer herunter und sehe Vovó fragend an.
    Â» Ja, bitte? « , frage ich sie.
    Sie deutet mit dem Kopf auf die Zeitung.
    Â» Du willst die Zeitung wieder mit hinunter nehmen? Aber ich habe sie noch gar nicht durchgelesen. « Plötzlich erscheint es mir nicht recht, dass ich die alte Frau duze, obwohl ich nie in meinem Leben einen Sklaven, gleich welchen Alters, gesiezt habe.
    Die Alte schüttelt den Kopf. Dann kommt sie an meinen Tisch, nimmt die Zeitung und schlägt sie an einer bestimmten Stelle auf.

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