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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wieso meine Eltern lieber mich verkaufen als ihre Besitztümer. Bin ich ihnen weniger wert als unsere Viehbestände, unser Land, das Herrenhaus mitsamt seinen exquisiten Möbeln, Teppichen und Kronleuchtern? Weniger als das Tafelsilber?
    Wahrscheinlich glauben sie auch noch, es sei zu meinem Besten, wenn ich diesen schrecklichen Mann heirate– damit ich weiterhin einen aufwendigen Lebensstil pflegen kann. Aber bevor ich mich mit einem Widerling wie Dom Fernando verheiraten lasse, lebe ich lieber für den Rest meines Lebens in kleinbürgerlichen Verhältnissen à la Dona Eufrásia, so deprimierend diese auch sein mögen.
    Die Entscheidung über mich und meine Zukunft sollte doch vor allem bei mir liegen. Dass meine Eltern Dinge von so großer Tragweite über meinen Kopf hinweg beschließen, halte ich schlichtweg für unmoralisch. Es grenzt an ein Verbrechen. Nur weil ich jung und weiblich bin, heißt das nicht, dass ich keine eigene Meinung habe. Ganz zu schweigen von meinen Gefühlen.
    Doch natürlich habe ich nichts zu sagen. Als Mädchen hat man praktisch überhaupt keine Rechte und somit hat man auch keine Meinung zu haben. Selbst mit Erreichen der Volljährigkeit ändert sich daran nicht viel.
    All das geht mir durch den Kopf, während ich vor dem Bett knie und die Kleidung des Stallburschen darunter hervorziehe. Das Knäuel ist unverändert, wie es scheint. Vor lauter Dreck sind die Sachen ganz starr, getrockneter Schlamm bröckelt und rieselt hinaus. Ich halte einen Moment die Luft an, als ich in die Tasche der Hose greife– aber es ist alles gut, ich ertaste die Ohrringe. Wenigstens das ist mir bisher erspart geblieben, dass man mich bestohlen hat.
    Ich wickle die Ohrringe in den Brief und schiebe das Ganze vorsichtig in die selbst genähte Tasche des Saums. Es passt genau hinein. Dann greife ich abermals zu Nadel und Faden und verschließe die Öffnung mit ein paar Stichen. Perfekt. Ich schlüpfe wieder in das Kleid und sehe kritisch an mir hinab: Ob etwas zu erkennen ist? Ich glaube nicht. Nur wenn man weiß, dass etwas in den Saum eingenäht wurde, sieht man eine winzige Wölbung.
    Zufrieden mit mir ziehe ich das Kleid wieder aus und lege mich aufs Bett. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt und den Blick auf die Decke gerichtet, sinniere ich so vor mich hin. Ich versuche in den Schimmelflecken Figuren zu erkennen, so wie man es auch bei Wolken machen kann. Gesichter, Tiere, Märchenpflanzen. Aber es macht mir nicht wirklich Spaß. Es ist viel schöner, wenn jemand mitmacht, wenn man gemeinsam Gebilde erkennt oder dem anderen versucht zu erklären, dass dieser Fleck sehr wohl die Umrisse eines Gesichts im Halbprofil hat, wenn auch eines mit besonders großer Nase. Wenn Alice jetzt hier wäre, hätten wir richtig viel Spaß zusammen, sie ist nämlich sehr fantasiebegabt und sieht die abenteuerlichsten Dinge in den langweiligsten Formen.
    Ich vereinsame allmählich. So einfach ist das. Ich brauche Gesellschaft, jemanden, mit dem ich reden kann, dem ich mein Herz ausschütten kann. Wie lange soll ich noch allein durch die Stadt irren? Wohin soll das alles führen? Ich kann doch nicht bis ans Ende meiner Tage von der Hand in den Mund leben und mich vor allen verstecken. Mein Leben hier in Rio ist eine einzige große Lüge und das macht mir zu schaffen. Darüber habe ich nicht nachgedacht bei meiner überstürzten Flucht. Nur: Zurückkehren und klein beigeben kommt überhaupt nicht infrage. Irgendwie werde ich mich schon durchschlagen.
    Plötzlich höre ich ein Knarren vor meiner Tür. Da mein Zimmer gleich unter dem Dach liegt und das letzte auf dem Flur ist, dürfte sich niemand davor herumdrücken. Mein Herz pocht laut. Mir wird ganz bang bei dem Gedanken, dass dort vielleicht ein Dieb ist. Zwar ist meine Tür von innen verriegelt, aber für einen geschickten Einbrecher dürfte dieser Riegel kein großes Hindernis darstellen. Ironie des Schicksals, dass ich gerade jetzt » Gesellschaft « bekomme, wo ich mir welche wünsche.
    Wieder knackst der Holzfußboden draußen. Da ist eindeutig jemand. Um nicht weiter wie ein verhuschtes Kaninchen hier zu hocken und auf den Überfall zu warten, gehe ich leise zur Tür und lege mein Ohr daran. Aber es ist nichts zu hören.
    Â» Hallo? Ist da jemand? « , rufe ich, bevor mein Mut mich wieder verlässt. Mein Herz

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