Januarfluss
ihm schreiten zwei weitere Männer durch das Portal, die ihm folgen. Auch sie sind nicht uniformiert, doch ich schätze, dass es Beamte in Zivilkleidung sind, die mich erwischen wollen, sobald ich mich Gustavo nähere.
Kann das wirklich sein? Sollte man tatsächlich mit einem derartigen Aufwand nach mir suchen? Zwei Männer, die Lu folgen, zwei andere, die hinter Gustavo hergehenâ das ist ein nicht unerheblicher Einsatz von Personal, um eine AusreiÃerin zu finden. Es will mir nicht so recht in den Kopf, dass diese aufwendige Jagd mir gelten soll. Aber es könnte ja auch sein, dass ich mich täusche. Vielleicht handelt es sich nur um einen merkwürdigen Zufall. Denkbar wäre ja zum Beispiel, dass Gustavos Vater heute früh seine Freunde eingeladen hat, die nun zeitgleich mit Lu beziehungsweise Gustavo das Haus verlassen haben.
Aber im Grunde glaube ich selbst nicht an eine harmlose Erklärung. Es wird so sein, wie Lu es prophezeit hat: Gustavo hat die Behörden benachrichtigt, und um jedes Risiko auszuschlieÃen, hat man gleich vier Männer hier postiert. Meine Güte, gar nicht auszudenken, wie blauäugig ich in diese Falle getappt wäre, wenn Lu nicht gewesen wäre! Ich hätte keine Chance gehabt.
Ungläubig schaue ich Gustavo nach, der auf dem Weg zum Largo do Machado ist. Er sieht umwerfend aus, wie immer, selbst von hinten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mich aus Boshaftigkeit oder gar aus Geldgier verraten hat. Vermutlich hat man ihm ins Gewissen geredet, und er glaubt nun, zu meinem Besten zu handeln. Sicher wollte er mich vor den Gefahren der StraÃe beschützen, die ich ja inzwischen nur allzu gut kenne. Ja, so muss es gewesen sein. Ihn trifft keine Schuld.
Langsam werde ich ungeduldig. Gustavo und seine zwei Schatten dürften mittlerweile am Largo do Machado nach mir Ausschau halten, und es könnte eine Weile dauern, bis sie zurückkehren, denn sie warten dort bestimmt auf mich. Aber wo bleibt Lu? So, wie ich ihn einschätze, hat er seine zwei Verfolger längst abgeschüttelt. Warum lässt er mich hier so lange warten? Ein junges Mädchen, das sich den halben Sonntag hinter einem geschlossenen Kiosk herumdrückt, ist ja nicht gerade ein alltäglicher Anblick. Irgendwann wird jemand wohlwollend an mich herantreten und mich fragen, ob es mir gut geht. Das gilt es natürlich zu verhindern: Aufmerksamkeit zu erregen ist das, was ich am wenigsten gebrauchen kann.
Vor Langeweile hebe ich eine der herabgefallenen Blüten eines Baumes auf, bei dem es sich, wenn mich nicht alles täuscht, um einen seltenen Pente de macaco, einen » Affenkamm « -Baum, handelt. Ich zupfe die Blätter ab: Er liebt mich, er liebt mich nicht⦠Das ist, wie ich zugeben muss, ein ziemlich billiger Selbstbetrug, denn die Blüten haben immer fünf Blütenblätter, es kommt also jedes Mal » er liebt mich « dabei heraus. Aber es hebt meine Laune dennoch ein wenig.
Als nach einer halben Ewigkeit Lu wie aus dem Nichts auftaucht, liegen unzählige der schönen gelben Blütenblätter um mich herum auf der Erde. Ich selbst bin inzwischen schon fest davon überzeugt, dass Gustavo einzig aus Liebe zu mir die Beamten verständigt hat.
» Die waren ganz schön hartnäckig « , keucht Lu. Es ist das erste Mal, dass ich ihn schwitzen sehe. » Ich glaube, ich bin sie losgeworden, aber wir sollten trotzdem schnell hier verschwinden. «
Es dauert einen Moment, bis ich in die unerfreuliche Wirklichkeit zurückfinde, die, in der Gustavo mich verraten hat und in der ich mich weiterhin auf der Flucht befinde.
» Lu? «
» Ja? « , sagt er, sieht mich aber nicht an, weil er stattdessen hektisch in alle Richtungen schaut und versucht, die ganze Umgebung im Blick zu behalten.
» Danke. «
» Ja, ja, schon gut. « Diesmal treffen sich unsere Blicke kurz. Ich merke, dass Lu sich unwohl fühltâ und zwar nicht wegen unserer Verfolger, sondern wegen meines Danks. Ein merkwürdiger Bursche. Vielleicht ist er es nicht gewohnt, dass man etwas Freundliches zu ihm sagt. Oder es lässt sich nicht mit dem Bild vereinbaren, das er von sich selbst hat, nämlich dem eines harten Kerls. Er scheint nicht zu wollen, dass man ihn für nett hält.
» Los, komm schon « , fordert er mich auf und geht los.
Wir gehen in normaler Geschwindigkeit, denn alles andere wäre zu auffällig. Erst als wir am
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