Januarfluss
die mich erkennen könnten.
Verflucht, das war knapp! Ich schaue mich um, erkenne vage einige Bauwerke und schlage die Richtung ein, in der die Rua Formosa liegt. Mein heutiger Ausflug ist beendet.
Unterwegs kaufe ich von meinem wenigen Geld zwei Brötchen. Eines davon werde ich Angélica geben, denn ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich sie auf dem Boden habe schlafen lassen. Bis gestern, als sie sich darüber beschwert hat, habe ich nicht allzu viel dabei gefundenâ in typischer Sinhazinha-Manier habe ich es für selbstverständlich gehalten, dass die Schwarze den schlechteren Platz bekommt und ich das Bett haben darf.
Sie schläft noch, als ich hereinkomme, wälzt sich jedoch unruhig hin und her. Gleich wird sie aufwachen. Ich koche einen Kaffeeâ eines der Dinge, die ich hier gelernt habeâ und hoffe, sie mit einem kleinen, aber feinen Frühstück milde stimmen zu können. Brötchen gibt es bei uns sonst nie.
Wenn ich daran denke, wie sorglos ich früher die Delikatessen in mich hineingestopft habe, wird mir ganz anders. Wie gedankenlos ich war! Wie verschwenderisch! Wenn ich irgendwann mein gewohntes Leben wieder aufnehme, werde ich bewusster mit Nahrungsmitteln umgehen, so wie ich auch bewusster mit allem anderen umgehen werde. Besonders mit den Menschen in meiner Umgebung, auch mit den Sklaven. Ich werde sie mit ganz anderen Augen sehenâ weniger als Hilfskräfte, mehr als Menschen mit Gefühlen, Wünschen und Träumen.
Dieses Vorhaben, ein besserer und verständnisvollerer Mensch zu werden, entpuppt sich allerdings bereits zwei Minuten später als schwer durchführbar: Angélica wacht auf und bedenkt mich mit einem Schwall sehr hässlicher Schimpfworte. Sofort bekomme ich Lust, ihr eine Ohrfeige zu geben. Mühsam beherrsche ich mich.
» Danke, dir auch einen schönen guten Morgen « , sage ich in dem sachlichsten Ton, der mir möglich ist. » Ich habe Kaffee gekocht und ein Brötchen für dich mitgebracht. Du musst hungrig sein nach der langen Nacht. «
Verwundert rappelt sie sich auf, reibt sich den Schlaf aus den Augen und fährt sich mit den Fingern durch ihr Haar. Danach stehen ihre Kräusellocken nur noch mehr zu Berge, aber ich verkneife mir ein Grinsen.
» Wie komme ich zu dieser Ehre? « , fragt sie, nachdem sie sich mehrmals geräuspert hat.
» Nur so. «
» Aha. «
Es ist schon in Ordnung, dass sie nicht mehr Worte darüber verliert. Ich kann sie verstehen, und ich bin mir sicher, dass sie sich freut.
Wir setzen uns an den Tisch, den ich zuvor von den Spuren des vergangenen Abends befreit habe. Geräuschvoll schlürft Angélica ihren Kaffee und sieht mich über den Rand des Bechers durchdringend an.
» Was bist du denn so gut gelaunt? « , fragt sie und sieht mich böse an, als habe ich etwas Furchtbares verbrochen.
» Warum nicht? «
» Weil⦠« Sie unterbricht sich und nimmt noch einen Schluck Kaffee. Vermutlich fällt es ihr nicht so leicht, mir zu sagen, was sie zu sagen hat. » Also⦠weil du gar nicht zu glauben brauchst, dass Lu dich toll findet. Er braucht dich, sonst nichts. «
Es versetzt meiner guten Stimmung in der Tat einen Dämpfer, das zu hören. Im Grunde dürfte es mir herzlich egal sein, was Lu von mir hält, aber das ist es nicht. Ich habe mich darauf gefreut, ihn heute wiederzusehen und ihm mitzuteilen, dass ich ihn unterstützen werde. Jetzt bin ich mir auf einmal nicht mehr so sicher. Zunächst muss er mir ohnehin erklären, wie er sich das Ganze vorstellt. Es dürfte nicht gerade einfach sein, Dom Fernando auszutricksen, und welche Rolle ich genau dabei spielen soll, ist mir noch nicht ganz klar.
Angélica steht auf und wandert im Raum umher. Vor dem verdreckten Fenster bleibt sie stehen, nippt an ihrem Becher und starrt auf die StraÃe. Irgendetwas dort fesselt ihre Aufmerksamkeit.
» Ist dir jemand gefolgt? « , fragt sie mich, ohne ihren Blick von der StraÃe abzuwenden.
» Nein « , behaupte ich spontan. Allerdings habe ich auch nicht darauf geachtet. » Wieso? «
» Weil da unten zwei Männer stehen, die ich hier noch nie gesehen habe. Und sie haben unser Haus im Visier. «
» Vielleicht warten sie auf jemanden « , sage ich und trete zu Angélica ans Fenster. Ja, da unten stehen wirklich zwei Fremde, die absolut nicht hierhergehören. Es könnten Polizisten sein,
Weitere Kostenlose Bücher