Januarfluss
sicher zu zügeln wissen.
» Ich muss wieder runter « , sagt Rosa. » Wenn wir trödeln, bestraft uns der mordomo. Er ist fast genauso schlimm wie der Senhor. Und fast genauso geil. «
Ich schlage die Hand vor den Mund. Rosas Ausdrucksweise ist unschicklich und empörend.
» Lu hat gesagt, du wärst in Ordnung. Aber du kommst mir vor wie ein weltfremdes Dämchen, das von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. «
» Tut mir leid, wenn ich deinen Anforderungen nicht genüge « , sage ich mit gröÃtmöglicher Herablassung.
Rosa macht einen Knicks und grinst mich gehässig an. » Sehr wohl, Senhorita « , sagt sie beim Ãffnen der Tür. » Ich wecke Sie um sieben, wie gewünscht. «
Als sie fort ist, wird mir klar, dass sie mir zwei Dinge mitgeteilt hat. Erstens: Ich werde bis sieben ungestört sein, weil ich angeblich schlafe. Zweitens: Sie kommt wieder und gibt mir Gelegenheit, ihr weitere Fragen zu stellen. Beides ist gut. Das Mädchen scheint die Intelligenz seines Bruders zu besitzen. Alles andere an ihr ist mir jedoch zutiefst unsympathisch. Wenn auch vermutlich ihre Lebensumstände daran schuld sind, dass sie die geworden ist, die sie ist, so kann ich doch kaum Mitgefühl für sie aufbringen.
Ich schüttele den Gedanken an Rosa und ihre vulgäre Art ab und versuche mich an meinem wunderschönen Zimmer zu erfreuen. Es ist das erste Mal seit Wochen, dass ich wieder den Komfort vorfinde, den ich gewohnt bin, und es sollte sich herrlich anfühlen. Doch das tut es nicht. Meine Erleichterung, der Misere der StraÃe entkommen zu sein, hat einen schalen Beigeschmack, und das nicht allein wegen Dom Fernando. Es gibt so viele Menschen, die nicht einen einzigen Tag ihres Lebens in einem solchen Raum verbringen dürfen. Lu ist einer davon.
Ach was, rufe ich mich zur Ordnung. Menschen wie Lu würden die dicke Matratze, die edle Dekoration, die schweren Brokatvorhänge oder den malerischen Ausblick doch gar nicht zu schätzen wissen. Mitleid ist völlig fehl am Platz. Lu hat sein Leben in der Gosse selbst gewählt. Und Aldemira wird ihn schon darüber hinwegtrösten.
23
Um sieben Uhr kommt Rosa, um mich zu wecken. Ich bin tatsächlich eingeschlafen, obwohl ich doch vor Aufregung hellwach sein sollte.
Solange sie durch die geöffnete Tür mit mir spricht, ist ihr Ton aufgesetzt fröhlich und ehrerbietig: » Senhorita Isabel, meine Güte, was Sie für einen festen Schlaf haben, ich klopfe seit einer halben Ewigkeit. Es ist Zeit aufzustehen. «
Doch kaum schlieÃt sich die Tür hinter ihr, wird sie geschäftsmäÃig. » Hier, schnell « , sagt sie und drückt mir etwas in die Hand, das ich erst nach längerem Betrachten als Schlüssel identifiziere. Es muss eine mit primitivsten Mitteln hergestellte Kopie sein. » Der passt in Dom Fernandos Sekretär. «
Ich gähne und reibe mir den Schlaf aus den Augen. » Aber warum benutzt du ihn nicht selbst? Du hast doch viel bessere Gelegenheiten, unauffällig an seinen Schreibtisch zu gehen. Was weià ich, beim Staubwischen oder so. «
Sie verdreht die Augen, als sei ich zu beschränkt, um überhaupt eine Antwort zu verdienen. Doch schlieÃlich erklärt sie es mir doch: » Weil keiner von uns Schwarzen gut genug lesen kann. Ich kann es zwar, habe aber die Ãbung verloren. Ich würde viel zu lang brauchen, um auch nur eine Zeile zu entziffern und zu erkennen, welches Dokument wichtig ist und welches nicht. «
Wir hören Schritte auf dem Flur, und sofort wird Rosas Stimme eine Oktave höher. » Aber sehr gern, Senhorita Isabel, ich werde mich sofort darum kümmern « , flötet sie.
» Viel Glück « , raunt sie mir beim Verlassen des Raums zu.
Das werde ich allerdings brauchen. Ich habe keine Ahnung, wonach ich suchen soll, und obwohl ich eine schnelle Leserin bin, werde auch ich nicht auf Anhieb erkennen, welches Dokument für uns von Bedeutung ist. Wenn sich überhaupt Papiere, Notizen oder Akten in dem Sekretär befinden. Es kann ja sein, dass gar nichts darin ist oder vielleicht nur irgendwelche Familienandenken. Der einzige Hinweis, den wir haben, ist der, dass Dom Fernando diesen Sekretär immer verschlossen hält.
Ich halte noch immer den grob geschliffenen Schlüssel in meiner Hand, als es abermals an der Tür klopft. Diesmal ist es ein anderes Dienstmädchen, das gekommen ist, um mir
Weitere Kostenlose Bücher