Januarfluss
beim Ankleiden und Frisieren zu helfen. Meine Güte, was für ein Getue! Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, reich zu sein und von A bis Z umsorgt zu werden. Den Schlüssel lasse ich unter der Bettdecke verschwinden. Ich darf nicht vergessen, ihn nachher, wenn ich zum Essen gehe, wieder an mich zu nehmen, denn üblicherweise wird auch das Bett für die Nacht neu gerichtet, während die Herrschaften speisen.
Um acht Uhr gehe ich, ausgeruht und hübsch zurechtgemacht, nach unten. Rosa steht in der Halle und weist mir den Weg zum Esszimmer, wobei man hier mit Fug und Recht von einem Speisesaal reden könnte. Der Raum ist riesig, sehr prunkvoll möbliert und von einem gewaltigen Kronleuchter wunderschön ausgeleuchtet. Die lange Tafel, an der mindestens vierzehn Personen Platz hätten, ist für zwei gedeckt. Immerhin liegen die Plätze nicht an den gegenüberliegenden Stirnseiten, denn das würde eine Konversation ja ein bisschen erschweren, sondern über Eck. Ein Kerzenständer sowie ein Blumengesteck, die zwischen den beiden Gedecken stehen, schaffen eine gemütliche Atmosphäre und lassen einen vergessen, dass der Rest des langen Tisches leer und unbesetzt ist.
Dom Fernando erwartet mich bereits.
» Meine liebe Senhorita Isabel « , sagt er und steht auf, » Sie sehen hinreiÃend aus! «
Dasselbe könnte man von ihm behaupten, wenn man ihn nicht kennen würde und ihn zum ersten Mal sähe. Seine hohe, schlanke Gestalt wirkt in dem schwarzen MaÃanzug sehr maskulin, sein aristokratisches Gesicht wird von dem schwarzen, mit Pomade nach hinten gekämmten Haar eingerahmt wie ein Kunstwerk. Keine Frage: Er könnte ein schöner Mann sein, hätte er nicht diesen boshaft funkelnden Ausdruck in seinen Augen und die leicht nach unten gezogenen Mundwinkel, die ihm immer etwas Verächtliches verleihen.
» Danke, Dom Fernando. « Ich blicke mich bewundernd in dem Raum um, denn ich suche händeringend nach einem unverfänglichen Gesprächsstoff. » Ihr Haus ist sehr geschmackvoll eingerichtet. Woher haben Sie all diese erlesenen Stücke, etwa diese Anrichte aus Rosenholz? Sie ist herrlich. «
Er antwortet mir, und wir plaudern noch einige Minuten weiter über belanglose Sachen, bis das Essen aufgetragen wird. Drei schwarze Dienstmädchen bringen Schüssel um Schüssel und Platte um Platte hinein. Es ist viel mehr, als zwei Personen jemals essen könnten. Und es duftet himmlisch! Nachdem ich mich nun wochenlang von Fraà ernährt habe, von trockenem Brot und zusammengekochten Fleischabfällen, scheinen mir diese Delikatessen geradewegs aus dem Schlaraffenland zu kommen. Da gibt es gebratene Wachteln und Rinderfilet in Kräuterkruste, Schinken im Brotteig und gedünstete Forellen. Zu alldem wird eine Vielzahl an Beilagen gereicht, Kartoffeln, Reis, verschiedene Gemüse. Mir gehen schier die Augen über. Am liebsten würde ich mich auf alles gleichzeitig stürzen. Vielleicht war die Menge doch nicht so falsch bemessen, wie ich zuerst dachte. Ich jedenfalls habe plötzlich einen mordsmäÃigen Appetit, und ich bin wild entschlossen, mir keines der vorzüglichen Geschmackserlebnisse entgehen zu lassen.
Während des Essens reden wir gar nicht. Dom Fernando sieht mir staunend zu, wie ich mir den Teller mehrmals von einer Sklavin auffüllen lasse und ihn jedes Mal bis zum letzten Tropfen SoÃe leere. Mir ist bewusst, dass meine Gier nicht sehr damenhaft ist, aber es ist mir völlig gleichgültig. Wer weiÃ, wann ich das nächste Mal in den Genuss eines so opulenten Mahls gelange?
Irgendwann werden die Desserts aufgetragen, auch hier gibt es eine groÃe Auswahl an verschiedenen SüÃspeisen. Obwohl bei mir allmählich ein Sättigungsgefühl eintritt, kann ich es mir nicht verkneifen, von fast allen zu kosten. Wer könnte schon diesen feinen Fruchtsoufflés, Schokoladenkuchen oder Kokosbaisers widerstehen? Ich unterdrücke den Impuls, mir ein paar der Köstlichkeiten einpacken zu lassenâ ich schätze, in diesem Haus werde ich keinen Hunger leiden müssen. Für eine Sekunde denke ich an Lu und Angélica und das arme Nachbarsmädchen, die aus einem Zehntel der Speisen, die wir heute Abend serviert bekommen haben, ein Festbankett machen würden, und ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Aber es gelingt mir, diese Gedanken zu verdrängen. Als ich endlich mein Besteck
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