Januskopf
Anlässe immer sehr ausgiebig.«
Carla lachte. Sie legte ihren Skizzenblock weg und stand auf.
»Hast du Lust, etwas zu unternehmen? Oder bist du zu müde?«
»Erst mal duschen«, sagte Katinka. »Was zeichnest du da?«
»Entwürfe für eine neue Kollektion.«
Katinka nahm den Block auf. Fremdartige Gesichter grinsten sie an. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie sich für Carlas Beruf noch gar nicht interessiert hatte.
»Meine Spezialität. Schmuck nach alten Motiven der Mayas, Inkas und Azteken. Meistens aus Gold, selten aus Silber. Immer bunt, versetzt mit Halbedelsteinen und, als unique selling point, mit Alltäglichem wie Blech, Federn, Wolle, Horn, Plastik, Plüsch.«
»Du bist Künstlerin!«
»Simple Goldschmiedin. Leider verdient man damit nicht viel Geld. Deswegen habe ich mich vor zehn Jahren mit anderen Künstlerinnen zusammengetan: einer Goldschmiedin und zwei Modedesignerinnen. Wir bilden sozusagen eine Kooperative.« Carla lachte. »Endlich mal was Linkes, das funktioniert. Wir unterstützen uns gegenseitig im Verkauf und haben Verträge mit Geschäften in ganz Europa, die unsere Sachen abnehmen.«
Katinka strich mit dem Finger über die Skizze. Ein ernstes Gesicht, die Augen wie querliegende Tropfen. Eine gewaltige, dreieckige Nase. Der Mund nur ein Strich.
»Das Amulett, das du trägst«, fragte Katinka, »ist aber ein anderer Stil, oder?«
»Stimmt. Ein etruskisches Motiv. Aber damit konnte ich nicht landen, obwohl ich gerne etwas Europäisches zu meinem Programm gemacht hätte.«
»Das ist wunderschön«, sagte Katinka mit Blick auf das Papier. »Wie viele machst du im Jahr?«
»Da fragt die Geschäftsfrau«, lächelte Carla. »Ich schaffe sechs bis zehn große Stücke. Außerdem repariere ich Schmuck. Unser Atelier in Berlin ist auch eine ganz normale Werkstatt.«
Katinka legte den Block weg.
»Beneidenswert, so ein künstlerischer Beruf.«
»Manchmal ja. So wie jetzt. Meine Kollegin nimmt für mich die Aufträge an und repariert, was anfällt, während ich in Bamberg sitze und geruhsam Entwürfe zeichne.«
»Lass uns was essen gehen«, schlug Katinka vor. »Tom kann mich jederzeit auf dem Handy erreichen und nachkommen, wenn er Lust hat. Vielleicht mit Florian.«
Sie gingen zum Spanier um die Ecke. Katinka trank vorsorglich nur ein Glas Wein, sie hatte noch etwas vor in der Nacht. Carla erzählte lebhaft von ihrer Kooperative und ihren Reisen nach Mexiko und Peru, wo sie die Mayakultur studiert hatte. Katinka konnte Details aus dem Archäologiestudium beisteuern, die ihr nun, da ein Anlass gegeben war, zufielen wie reife Erdbeeren. Seltsam, dass man manche Dinge eben nicht vergisst, philosophierte Katinka und dachte an Dr. Thompsons Faszination für das menschliche Gehirn. Tom meldete sich den ganzen Abend nicht. Gegen elf juckte es Katinka in den Fingern, Hardo anzurufen, aber sie ließ es sein. Als sie nach Hause kamen, legte Katinka sich für eine Stunde ins Bett und starrte an die Decke.
Um Mitternacht stand sie vor Krolls Haus am Mühlwörth, das Haar von einem schwarzen Piratentuch verdeckt. Es war immer noch warm. Seidig schmiegte sich die Luft auf die Haut. Katinka zwängte ihre feuchten Hände in die Latexhandschuhe. Ihr Herz klopfte heftig gegen ihre Rippen. Gekonnt setzte sie den Dietrich an. Sie war geübt genug. Es sah aus, als mühe sie sich mit einem unzuverlässigen Hausschlüssel. Mit einem Klack ging die Tür auf. Keine Sicherheitskette.
Ausatmen. Sie stand im Flur und lauschte. Die Küche kannte sie schon. Es gab noch eine Tür unten. Oben vermutete sie Bad und Schlafzimmer mitsamt einem schnarchenden Bernhard Kroll. Es lebe die Konformität, dachte sie. Die meisten Wohnungen sind Standard. Sie drückte die Klinke runter. Schwärze. Das Fenster ging zur Straße. Behutsam zog sie die Vorhänge zu. Der Strahl ihrer Taschenlampe beleuchtete ein Wohnzimmer mit reich ausgestatteter Bücherwand. Sie ließ das Licht über die Titel wandern. Mathebücher, Fantasy, Bücher über Jagen und Forstwirtschaft. Ein Sekretär neben dem Fenster enthielt Krolls Schreibzeug. Natürlich besaß Kroll Kugelschreiber, wie wahrscheinlich so gut wie alle Menschen auf diesem Planeten. Es waren billige mit Werbeaufdruck. Katinka steckte sie ein. Sie entdeckte eine Kladde mit Notizen in Krolls kleinen, bauchigen Buchstaben. Neugierig blätterte sie darin. Sie fand eine Karte, auf der ihm ein gewisser Oskar zur bestandenen Jägerprüfung gratulierte. In der untersten Schublade lagen
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