Januskopf
Fenster im Nebenraum auf, um die stickige Luft zu vertreiben. Sie versuchte es mit Hardos Nummer. Er war in einer Besprechung, würde aber sobald als möglich zurückrufen, versprach ihr der Diensthabende.
Katinka wählte Charlotte Isensteins Nummer. Immerhin sollte ihre Auftraggeberin informiert werden über das, was die Privatdetektivin trieb. Eine Mitarbeiterin im Labor erklärte, Frau Isenstein sei gegen zwölf nach Hause gegangen. Ihrem Mann ginge es nicht gut.
Die Geschäftsfrau verlässt mitten am Tag den Betrieb, wunderte sich Katinka, dann muss es ernst sein. Mit einem flauen Gefühl im Magen tippte sie die Privatnummer der Isensteins ein, zögerte, legte den Hörer auf und verließ das Büro. Sie würde persönlich hinfahren. Als sie schon über den Schillerplatz rollte, fiel ihr ein, dass das Fenster im Nebenraum immer noch offenstand. Sie klingelte bei Nummer sechs.
Ewald Isenstein öffnete ihr. Schweiß perlte über sein Gesicht und seinen Hals und tränkte sein Hemd. Ein Goldkettchen mit Kreuzanhänger glitzerte vor Nässe. Wieder fielen Katinka seine gnubbeligen Knie auf. Er trat beiseite, um sie einzulassen. Dankbar betrat sie den kühlen Korridor.
»Grüß Gott, Herr Isenstein«, sagte Katinka. »Ich konnte Ihre Frau telefonisch nicht erreichen und dachte mir, ich komme einfach vorbei.«
Isenstein nickte, als ginge ihn das nichts an, ließ Katinka stehen und tappte schwerfällig die Treppe hinauf. Ein Bein zog er nach. Unruhig sah Katinka ihm nach.
»Frau Isenstein?«
Weiter hinten im Haus regte sich etwas. Katinka spähte ins Halbdunkel. »Frau Isenstein?«
Charlotte kam durch den Korridor, leuchtend in ihrem weißen Kostüm.
»Es tut mir leid, dass ich einfach so bei Ihnen eindringe«, begann Katinka. »Ihr Mann hat mich reingelassen.«
»Ich bin nicht in der Stimmung, Besuch zu empfangen«, sagte Charlotte Isenstein. »Bitte verstehen Sie das. Ein andermal gerne.« Ihre Stimme knarrte vor Erschöpfung. Über ihre Wangen zogen sich Spuren von zerlaufenem Make-up.
»Selbstverständlich.«
»Es ist grauenvoll. Grauenvoll.«
Zu Katinkas Entsetzen begann Charlotte Isenstein zu weinen. Die Tränen rannen ihr unaufhörlich übers Gesicht. Sie ruderte mit den Armen, während sie versuchte, die Kontrolle wiederzuerlangen. Katinka sah an ihr herunter. Jacke und Rock waren verknittert, sie trug keine Schuhe. An den Zehen hatte sie rote Druckstellen.
»Ich kann nicht mehr«, flüsterte Charlotte Isenstein, lehnte sich an das Treppengeländer und schlug mit dem Kopf mehrmals gegen die gedrechselten Pfosten. »Ich kann einfach nicht mehr.«
Katinka berührte sie sacht am Arm.
»Kommen Sie. Setzen wir uns irgendwo hin.«
Sie führte Charlotte den Gang entlang, bis sie auf eine angelehnte Tür stieß. In der Küche dirigierte sie sie an den Tisch, suchte nach einem Glas, ließ Leitungswasser hineinlaufen und stellte es Charlotte hin. Charlotte setzte einige Male an, etwas zu sagen, doch es kullerten nur verzerrte Fragmente über ihre Lippen.
»Es ist nicht schlimm, Frau Isenstein. Weinen Sie.«
»Sie glauben gar nicht, wie schlimm es ist«, wimmerte Charlotte. »Ich bin dem Ganzen nicht mehr gewachsen. Er ist krank. So kann das nicht weitergehen.« Sie rieb mit den Händen über die blitzsaubere Tischplatte. »So kann es einfach nicht weitergehen.« Sie verlor sich in Schluchzern. Katinka stöberte eine Rolle Küchenkrepp auf und riss ein Blatt ab.
»Danke«, flüsterte Charlotte.
»Was ist passiert?«, fragte Katinka.
»Wir haben einen zweiten Brief bekommen.« Es dauerte Minuten, bis Charlotte sich so weit in der Gewalt hatte, dass sie aufstehen und ihn holen konnte. Diesmal fasste sie ihn mit dem Krepp zwischen den Fingern an.
Ewald,
gleich zwei. Und das nächste Mal? Wie viele hast du dir vorgenommen?
»Verflucht«, murmelte Katinka. »Wann kam das?«
»Am Vormittag. Frau Geller, unsere Nachbarin rief mich an, vor ungefähr zwei Stunden, so kurz vor zwölf. Sie hatte Ewald in heller Aufregung vor dem Haus auf- und abgehen sehen. Ich fuhr gleich heim. Jemand hat den Brief unter der Tür durchgeschoben. Ewald hat ihn gefunden und gelesen.«
Kein Wunder, dachte Katinka, er ist an ihn adressiert. Sie betrachtete den Umschlag. Das gleiche Material wie beim ersten Mal.
»Wann sind Sie heute früh aus dem Haus gegangen, Frau Isenstein?«
»Wie immer. Um halb acht.«
»Heute Morgen war also noch kein Brief da?«
»Nein. Ich schaue immer nach, seit ... seitdem.« Sie rieb sich
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