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Januskopf

Januskopf

Titel: Januskopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Schmöe
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gesprochen hatten, machte sie beinahe wahnsinnig.
    »Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was für einen Grund es geben könnte, Ewald mit den anonymen Briefen unter Druck zu setzen«, begann sie, als Hardo den Zündschlüssel drehte. »Entweder hat Ewald die Morde begangen. Aber dann wäre es logischer, jemand würde ihn erpressen. Oder er hat sie nicht begangen. Warum dann die Briefe? Wer hat etwas davon, Ewald Morde anzuhängen, die er nicht begangen hat?«
    Hardo schwieg und drehte die Heizung auf höchste Stufe.
    »Ich habe auch schon überlegt, ob der Briefeschreiber vielleicht selbst nicht genau weiß, ob Ewald der Täter ist oder nicht«, machte Katinka weiter. »Er schreibt auf gut Glück. Aber warum?«
    »Motive sind wichtig«, sagte Hardo. »Aber manchmal muss man umgekehrt anfangen.« Er schaltete die Scheibenwischer aus. Im Westen wurde der Himmel heller. »Was bewirken die Briefe? Womöglich ist das der richtige Ansatz.«
    »Sie meinen, wir sollten nach den Konsequenzen der Briefe für Ewald fragen?«
    »Schön, dass Sie ›wir‹ sagen.«
    Katinka grinste.
    »Die Briefe machen Ewald verrückt«, begann sie. »Sie machen ihn unruhig, versetzen ihn in Panik.«
    »Was tun Menschen, die panisch werden?«
    »Das ist eine Prüfungsfrage«, wehrte sich Katinka. »Sie drehen durch.« Sie schwieg, weil sie selbst mit der Antwort nicht zufrieden war. Hardo hatte ihr oft erklärt, dass man immer noch tiefer graben müsse, um die Geschichte hinter der Geschichte zu erfassen. Aber sie wusste nicht, wo sie den Spaten ansetzen sollte.
    »Durchdrehen ist schon zu spezifisch«, widersprach Hardo. »Sicher ist aber, dass die Briefe ihn unter Stress setzen. Was tun Menschen, wenn sie unter Stress stehen?«
    Katinka zuckte die Achseln und streckte die Hände in den warmen Luftstrom aus der Heizung. »Sie tun Dinge, die sie lieber nicht täten.« Sie nieste.
    Hardo warf ihr einen Blick zu und sagte:
    »Ein Mensch, der unter Stress steht, verrät die Wahrheit über sich selbst. In keiner anderen Situation lernen Sie einen Menschen besser kennen.«
    »Dann muss ich Sie kennen wie mein Portemonnaie.«
    »Falsch«, neckte Hardo. »Sie haben mich niemals im Stress erlebt. Ich dagegen habe Sie schon lange völlig durchschaut.«
    Sie sah auf die Straße. »Dort steht mein Auto. Und Ihre Kollegen sind auch da.« Katinka zeigte auf den Streifenwagen gegenüber.
    Hardo hielt hinter Katinkas Beetle, stieg aus und sprach mit den Beamten. Katinka wartete ungeduldig. Sie ahnte, dass sie irgendwann ihre Geschichte für das Protokoll erzählen musste und hoffte inständig, dass man ihr die Zeit geben würde, die nassen Klamotten zu wechseln.
    Hardo kam zu ihr herüber. Der Streifenwagen fuhr ab.
    »Wir wechseln den Reifen«, versprach Hardo. »Dann fahren Sie nach Hause und nehmen ein heißes Bad.«
    »Ich ...«
    »Widersprechen Sie nicht schon wieder«, knurrte er.
    »Darum geht’s nicht.« Katinka nieste. »Entschuldigung. Ich habe vergessen, dass ich keinen Ersatzreifen habe.«
    Hardo brach in Lachen aus.
    »Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht.«
    »Es ist nicht meine Schuld«, sagte Katinka. »Die neuen Autos haben ein Reifendichtmittel anstelle eines Ersatzrades. Aber meins ist nicht mehr im Kofferraum.«
    »Will heißen?« Seine grauen Augen glühten.
    »Ich weiß, dass ich die Flasche mitsamt dem Kompressor noch hatte – vor ein paar Wochen. Aber vorhin war sie weg.«
    Hardo sah Katinka so durchdringend an, dass sie unwillkürlich zurückwich.
    »Aha!«, sagte er. »Wo parkt Ihr Wagen normalerweise?«
    »Direkt an der Straße.«
    »Und nur Sie und Tom haben einen Schlüssel?«
    Katinka nickte.
    »Allerdings vergesse ich ab und zu, das Auto abzuschließen.«
    Hardo rollte mit den Augen.
    »Nur, weil man bei diesen Fernbedienungen nie genau weiß, ob man auf die Taste fürs Zuschließen oder Aufsperren drückt!«, verteidigte sie sich. Sie stieg aus, öffnete den Kofferraum und zeigte dem Kommissar die Tüte mit den Krähenfüßen.
    »Wussten Sie, dass die Kämpfer im Mittelalter die Krähenfüße mit Kalk und Katzenkacke bestrichen, bevor sie sie auslegten?«, fragte Katinka. »Der Kalk verhinderte, dass die Wunde wieder zuheilte, und die Katzenkacke verursachte eine böse Entzündung. Die Leute starben unter Qualen nach mehreren Tagen Todeskampf.«
    »Wozu so ein Geschichtsstudium doch gut ist«, sagte Hardo, während er sich Katinkas Reifen besah. Katinka nieste wieder.
    »Ich fahre Sie jetzt nach Hause«, sagte Hardo.

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